Kant: AA X, Briefwechsel 1770 , Seite 112

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sich die Mühe geben wollten, jeden besonders völlig zuentwickeln und      
  02 seine Anwendung etwas ausführlich zu zeigen.      
           
  03 Diese Begriffe scheinen mir nicht nur gründlich, sondern sehr      
  04 wichtig. Nur in einer Kleinigkeit, habe ich mich nicht in ihre Art,      
  05 sich die Sachen vorzustellen schiken können. Bisdahin, habe ich      
  06 Leibnizens Begriffe von Zeit und Raum für richtig gehalten, weil      
  07 ich die Zeit für etwas anderes, als die Dauer, und den Raum für      
  08 etwas anderes, als die Ausdähnung gehalten habe. Dauer und Ausdähnung      
  09 sind schlechterdings einfache Begriffe, die sich nicht erklären      
  10 lassen, aber meines Erachtens eine wahre Realität haben; Zeit und      
  11 Raum aber sind zusammengesezte Begriffe, die man sich ohne den      
  12 Begriff der Ordnung zugleich zu haben, nicht denken kann. Den      
  13 natürlichen Einflus der Substanzen, habe ich mir schon lang ohngefehr      
  14 so vorgestellt oder seine Nothwendigkeit gefühlt, wie Sie und über den      
  15 Unterschied des sensibilis und des Intelligibilis habe ich Begriffe,      
  16 deren Klarheit sich ziemlich weit treiben läßt, wie ich etwa, wenn ich      
  17 einmal Zeit dazu haben werde ausführlich zu zeigen mir vorgenommen      
  18 habe. Aber hierin werden Ew. Hochedelgeb. mir ohne Zweifel zuvorkommen,      
  19 welches mir sehr lieb seyn wird. Denn ich habe würklich izt      
  20 wenig Zeit und denn auch, wegen arbeiten von einer ganz andern Natur      
  21 wenig Disposistion des Geistes, dergleichen abstrakten Materien zu      
  22 bearbeiten.      
           
  23 Ich wünschte wol von Ihnen zu erfahren, ob wir Hoffnung      
  24 haben können ihr Werk über die Metaphysik der Moral bald zu      
  25 sehen. Dieses Werk ist bey der noch so wankenden Theorie der Moral      
  26 höchst wichtig. Ich habe auch etwas in dieser Art versucht in dem      
  27 ich unternommen diese Frage aufzulösen: Worin besteht eigentlich der      
  28 physische oder psychologische Unterschied der Seele die man tugendhaft      
  29 nennt, von der, die Lasterhaft ist. Ich habe gesucht die eigentlichen      
  30 Anlagen zur Tugend und zum Laster in den ersten Äußerungen der      
  31 Vorstellungen und der Empfindungen zu entdeken, und glaube die      
  32 Untersuchung umsoweniger ganz vergeblich unternommen zu haben, da      
  33 sie mich auf ziemlich einfache und leicht zu faßende Begriffe geführt      
  34 hat, die man ohne Mühe und Umwege auf den Unterricht und die      
  35 Erziehung anwenden kann. Aber auch diese Arbeit kann ich gegenwärtig      
  36 nicht ausführen.      
           
  37 EHochedelgeb. wünsche ich von Herzen zu der Ruhmvollen Lauffbahn,      
           
     

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