Kant: AA X, Briefwechsel 1771 , Seite 120

     
           
 

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  01 harte Verlust auch die einzige Ursache, die mir den Holländer mit      
  02 aller seiner erzwungenen Höflichkeit unerträglich macht. Ein Deutscher      
  03 wird lächerlich wenn er dem Franzosen nachäft, aber ein Holländer      
  04 im parisischen Kleide sieht noch ärger als ein HErr von Gaensewitz      
  05 aus. Mein Trost und meine Stütze ist unser brave Runkenius; ein      
  06 Man voller Geist, und der mir oft bey einem freundschaftlichen      
  07 Feuer die angenehmen Augenblicke zurückruft, die ich in Ihrem reitzenden      
  08 und lehrreichen Umgange verlebt habe. Meine Feder schreibt Ihnen      
  09 keine leere Schmeicheleyen; sie kan Ihnen nichts anders als die aufrichtige      
  10 Sprache eines Herzens reden welches die vollkommenste Hochachtung      
  11 gegen seinen ersten und letzten Lehrer hegt. - Ich will Ihnen      
  12 alles sagen. Runkenius und ich, wir haben eine Art von Verschwörung      
  13 gegen Sie gemacht. Wir wollen uns alle Mühe geben Sie zu einer      
  14 Herüberkunft zu nöhtigen. Das ist gar kein Scherz. Wir fühlen      
  15 beyde das ganze Glück welches uns Ihre Gegenwart verschaffen könnte,      
  16 und unser Wunsch Sie hier zu sehen ist eben daher recht ernsthaft.      
  17 Ihr ehemaliger Vorsatz Engelland einmal zu besuchen giebt uns sogar      
  18 einige Hofnung. Von Engelland nach Leiden sind 18 Stunden.      
  19 Davor erschrickt man eben nicht insonderheit bey guter Iahreszeit.      
  20 Unser Haus wäre Ihre Wohnung so wie unsere Küche alsdenn unter      
  21 Ihren Befehlen stünde. HE. Runkenius würde sich mit uns allen      
  22 um die Wette beeifern Ihren Aufenthalt Ihnen angenehm zu machen.      
  23 Sie würden vielleicht das Vergnügen haben einen Menschen zu sprechen      
  24 der hier und in Amsterdam viel Lermens macht und sich Schwedenborg      
  25 nennt; ein Mensch der Geister sieht und mit allen unsichtbahren Wesen      
  26 in geheimer Correspondence steht. Da er von Amsterdam sehr oft      
  27 hieher komt um seine Bücher abzusetzen so ist er bey den hiesigen      
  28 Gelehrten bekant. Daher hat letzthin die Theologische Fakultät (o      
  29 es giebt hier so gut fromme Narren als in Deutschland) eine förmliche      
  30 Ambaßade an ihn geschickt um ihn fragen zu laßen ob Socrates und      
  31 Marc aurel im Himmel oder in der Hölle wären. Schwedenborg hat      
  32 sie alle vorgefunden, allein nach seiner Aussage haben die guten Leute      
  33 die keine Christen haben seyn können einen besondern Himmel in dem      
  34 man sich nicht in dem Grade vergnügen kan als in dem Aufenthalt      
  35 unserer heutigen Seeligen. Die Sache hat seine völlige Richtigkeit.      
  36 Noch jetzt dauren solche elende Streitigkeiten, die man hier gelehrt      
  37 und wichtig nent, fort. Diese FratzenGeschichte könnte einen üblen      
           
     

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