Kant: AA X, Briefwechsel 1773 , Seite 138

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 mir einige Hofnung machen? Ich will Ihnen nicht sagen, wie hoch ich      
  02 Sie, unter der einzigen Seite die ich von Ihnen kenne, als Philosophischen      
  03 Schriftsteller schätze. Wenn ich Autoren einander aus      
  04 Leibeskräften ins Angesicht loben höre, so empfinde ich dabey ungefehr      
  05 die nehmliche Bewegung die mich ankömt, wenn ich die Geheimen      
  06 Räthe eines deutschen Prinzen einander alle Augenblick die Excellenz      
  07 in den Bart werfen höre. Aber soviel darf ich Ihnen doch sagen,      
  08 daß ich auch nur wenige Bogen von Ihnen für einen unschäzbaren      
  09 Beytrag zu einer Unternehmung welche ich gerne für unsre ganze      
  10 Nation interessant machen möchte, ansehen würde. Ich würde es      
  11 Ihnen lediglich überlassen ob Sie in dem 1ten. 4ten. 5ten oder welchem      
  12 andern Artikel Sie arbeiten wollten; so wie ich auch überhaupt      
  13 niemalen unbescheiden genug seyn würde, praetensionen zu machen,      
  14 sondern es immer auf Ihre Convenienz ankommen lassen wollte, wie      
  15 oft oder selten Sie mich mit Ihren Beyträgen beehren wollten. Ie      
  16 öfter je lieber, dies versteht sich. Noch ein andrer kleiner Umstand      
  17 versteht sich auch von selbst, nehmlich daß ich zwar jede Production      
  18 des Genies an sich für eben so unbezahlbar halte als ein Gemählde      
  19 von Raphael; indessen aber und da nun einmal Manuscripte, ungefehr      
  20 nach Proportion ihres relativen Werthes eine gewisse valeur numeraire      
  21 haben, fest entschlossen bin, Beyträge von der Art wovon itzt die      
  22 Rede ist, besser als irgend ein Sosius in der Welt, zu honoriren.      
  23 Dies, Mein theurester Herr, soll kein Beweggrund seyn; der Himmel      
  24 verhüt es daß Sie einen solchen Beweggrund vonnöthen haben sollten,      
  25 vielmehr mich als jemand andren mit Ihren Mscpten zu beehren.      
  26 Indessen würde ich selbst, wenn ich gleich den Stein der Weisen      
  27 besäße, meine Mspte nicht leicht umsonst weggeben, und ich sehe nicht      
  28 warum nicht jeder Schriftsteller so dencken sollte.      
           
  29 Den Einschluß bitte so gütig zu seyn, dem HEn Kanter zu übergeben,      
  30 und zu Beförderung der Sache sich ferner soviel möglich zu      
  31 verwenden.      
           
  32 Ich habe die Ehre mit wahrester Hochachtung zu seyn      
           
  33   Ew. Wohlgebohren      
  34   gehorsamster und ergebenster Diener      
  35   Wieland.      
  36 Weimar d. 1. Februar        
  37 1773.        
           
           
           
     

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