Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 446

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 habe die Ehre mit unbegränzter Hochachtung und tiefster Verehrung      
  02 zu seyn      
           
  03   Ew. Wohlgeb.      
  04 Marburg den 10ten May        
  05 1786. gehorsamster Diener      
  06   und lernbegieriger Schüler      
  07   Ioh Bering      
           
           
    271.      
  09 Von Iohann Benjamin Erhard.      
           
  10 Nbg. d. 12. May 1786.      
           
  11 Verehrtester Lerer und Freund!      
  12 Nicht mer bin ich im Stande den Dank zurük zu halten der      
  13 Ihnen von mir gebürt, Sie sind es der meinen Kräften die Stärke      
  14 gab; durch den Nebel der Vorurteile nicht abgeschrekt, durch den Glanz      
  15 des Dogmatismus nicht irre geführt und für den Pfeilen der Modeweisen      
  16 sicher, bis zu den Stralen ächter Philosophie hindurch zu dringen.      
  17 Vielleicht ist es Ihnen nicht unangenem etwas von der Geschichte      
  18 meiner Denkart zu wissen.      
           
  19 Mendelssohn ist der Weise der mich am ersten auf die Pfade des      
  20 Nachdenkens und des moralischens Gefüls führte. Vorher schon gefiel      
  21 mir der systematische Geist Wolfs, und durch Moses vermerte sich      
  22 meine Hochachtung für ihn, ich hielte sein System für das gründlichste      
  23 und beste das wir hätten. Durch das Lesen seiner neuen Verächter      
  24 wurde ich darinn bestärkt, denn sie hieben seinem System bald einen      
  25 Fuß bald eine Hand ab liesen das übrige wie es war, oder kleideten      
  26 es nach der Mode, und schrien nun jämmerlich laut, sie hätten eine      
  27 schönere Philosophie geschaffen als er.      
           
  28 Ich fasste daher den Entschluß sein System fest zu gründen und      
  29 alle Lüken darin auszufüllen. Die Methode nach der ich meinen Zwek      
  30 zu erreichen glaubte war diese: 1) den Umfang der Philosophie aus      
  31 Gründen der Vernunft zu bestimmen und seine Erfüllung durch die      
  32 aufgenommenen Wissenschaften. 2) alle Erklärungen aus ihren Postulatis      
  33 zu erweisen, aber damit wollte es mir nie gelingen, wenigstens      
  34 wollte immer keine wolfianische Philosophie herauskommen 3) die      
  35 Postulata in den notwendigen Bedingungen unseres Denkens aufzusuchen,      
  36 aber nun mangelte mir immer der Erweiß für die objektive      
           
     

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