Kant: AA X, Briefwechsel 1788 , Seite 553

     
           
 

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  01 Spalding und Teller haben freyer wie jemals von der Cantzel geredet      
  02 und ihre Predigten drucken lassen. Diedrich hat neulich ein Kind      
  03 nach einem freyen Ritual, getauft, wobey der Minister Wöllner Gevatter      
  04 war. Der Pastor Riem der Secretair bey der Accademie der      
  05 Künste geworden, der über die Aufklärung deklamiret, läßt mit einem      
  06 besseren Gehülfen ein gutes Journal für Aufklärung hier drucken      
  07 darin ist ein Auszug aus Luthers Schriften über Denkfreyheit in      
  08 Glaubens Sachen - unter andern "die Iuncker Bischöfe und Fürsten      
  09 sind Narren, die sich in Glaubens Sachen was anmassen" Man      
  10 könnte zum pendant aus des Königs Schriften ähnliche Stellen ziehen      
  11 ich habe dazu gerathen. Aus diesen Schriften wird man den grossen      
  12 Sterblichen erst recht kennen lernen - die Warheit in der Geschichte      
  13 die Rechtschaffenheit in der Staats Klugheit, wird zugleich unendlich      
  14 daraus gewinnen - ich fürchte Sie werden eine Zeitlang Ihre Speculationen      
  15 liegen lassen, wenn Ihnen diese Werke in die Hände fallen.      
  16 Von den neuen MeßSchriften, bin ich am begierigsten die von Garve      
  17 über die Verbindung der Moral mit der Politick zu lesen - er wird      
  18 tiefer in diese Materie gedrungen seyn, als der neue Coadjutor von      
  19 Maintz, der sich bey seinem hiesigen Auffenthalt, als einen sehr liebenswürdigen      
  20 Mann bekandt machte, der wie er sagte - weniger wie jemals      
  21 an die Menschheit verzweifelte. Die Geschichte der Vervollkomnung      
  22 des menschlichen Geschlechts von Weishaupt hat mir gefallen - er      
  23 scheint Sie in dieser Materie besser zu verstehen und nachzuarbeiten,      
  24 als in der Methaphisik. Ich werfe hier so viele Lieblingsmaterien      
  25 hin, um einen recht langen Brief darauf zu veranlassen, nicht für      
  26 mich, das wäre zu gut dazu, sondern für Ihren Freund den D Biester.      
  27 Ich habe diesem lieben Mann versprochen, Ihnen etwas Z. E. über      
  28 Denckfreyheit etc. für seine MonathsSchrift abzulisten. Es liegen in      
  29 Ihrem Schreibpult Entwürfe. Wenn Sie uns davon auch nur eine      
  30 kleine Notiz gäben. Sie haben jetzt nicht Muße auszuarbeiten.      
  31 aber in einem Schreiben nur so hingeworfen, würde ich davon, ohne      
  32 daß es die Absicht gewesen [zu] seyn scheinen müste, zur Freude der      
  33 Leser und Herausgeber der MonathsSchrift, Gebrauch machen dürfen.      
  34 Ich wollte mich hier nicht umsonst gerühmt haben, in dem Cabinet      
  35 Ihres Geistes einigen Eingangs. Mit mehrerem Recht haben meine      
  36 Frau und ich, sich bei aller Gelegenheit gerühmet, bey dem größten      
  37 Phylosophen, den schönsten rothen Wein getrunken zu haben, den wir      
           
     

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