Kant: AA XII, Briefwechsel 1797 , Seite 210

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 fühlte und durch Ihre Belehrungen täglich klüger und besser wurde.      
  02 Aber Neid und Cabale haben mich noch länger von einem Glück zurückgehalten,      
  03 welches doch gewis Niemand mehr schätzte und besser benutzte,      
  04 als ich. Ich kann es nicht leugnen, daß mir vorzüglich in dieser      
  05 Rücksicht die mißlungene Wahl sehr unangenehm ist; denn obgleich es      
  06 mir hier weder an Unterhalt noch an Liebe fehlt, so überzeuge ich      
  07 mich doch immer mehr, daß ich mich nicht auf meinem rechten Standpunct      
  08 befinde. - Sollte ich aber wegen der einen ungünstigen Wahl      
  09 alle Hofnung aufgeben je in Koenigsberg eine Stelle zu bekleiden?      
  10 Erlauben Sie mir theuerster Herr Professor, daß ich Ihnen hier meine      
  11 Gedanken über die Zukunft zur Beurtheilung und Entscheidung vorlege,      
  12 mit der ergebensten Bitte um Ihre geneigte Hülfe, im Fall mein Plan      
  13 Ihren Beifall finden sollte. Um eine Wahlstelle würde ich mich wohl      
  14 nie mehr bemühen, weil ich nicht hoffen kann, daß ich je mehr Eindruck      
  15 auf eine Gemeine machen könnte, als es durch meine letzte Predigt      
  16 bei der altstädtschen Gemeine geschah. Aber sollte ich nicht auch auf      
  17 Königliche Stellen Anspruch machen können, da ich schon über 3 Iahre      
  18 bei einer Schule gearbeitet habe? Um diese Ansprüche noch mehr zu      
  19 begründen, habe ich auch jetzt, nachdem ich hier in die 2te Predigerstelle      
  20 gerückt bin, es freiwillig übernommen, ferner noch bei der Schule      
  21 zu bleiben und 2 Stunden täglich zu unterrichten. Von den Königlichen      
  22 Predigerposten in Koenigsberg wären wohl keine andern wünschenswerth      
  23 als die Hofpredigerstelle, die Pfarrstellen bei den 3 Haupt Kirchen,      
  24 bei der Sackheimschen und Tragheimschen Kirche. Freilich sind die      
  25 meisten dieser genannten Aemter eben nicht sehr einträglich, aber ich      
  26 hoffe sie durch Nebenverdienste wohl einträglicher zu machen. Habe      
  27 ich doch hier bei den geringen Einkünften meiner vorigen Stelle durch      
  28 Pensionnairs u. Privatunterricht noch etwas erübrigen können, warum      
  29 sollte dies nicht auf einem Schauplatz, wie Koenigsberg ist, geschehen      
  30 können? Meine Absicht, die ich schon seit mehrern Iahren gehabt habe,      
  31 geht dahin, neben einer Pfarre noch eine academische Lehrerstelle zu      
  32 bekleiden. Die philosophische Facultaet halte ich dazu am tauglichsten,      
  33 theils weil man in ihr schon von den Studirenden mehr erwerben kann,      
  34 als von den armen Theologen, theils aber auch weil man in ihr bei      
  35 dem jetzigen allgemeinen Hange zu Wissenschaften selbst bei jungen      
  36 Leuten aus andern Ständen sich Erwerbsquellen eröfnen kann.      
  37 Außer der Philosophie hätte ich zur Mathematik und Physik die meiste      
           
     

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