Kant: AA XII, Briefwechsel 1797 , Seite 217

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 das, was die Sinnlichkeit aus ihrem eignen Fond, aus sich selbst, gibt?      
  02 Woher das Materiale und Empirische, als solches, wenn ich von dem      
  03 abstrahire, was es durch Einfluß der Spontaneität, gemäß den Formen      
  04 der Sinnlichkeit, geworden ist? Gibt es die Sinnlichkeit lediglich aus      
  05 ihrem eignen Fond oder bewirken es etwa Dinge an sich, die von der      
  06 Sinnlichkeit geschieden und verschieden sind? Ich antworte: Alles,      
  07 was die Sinnlichkeit gibt (Materie und Form) ist durch ihre Natur      
  08 bestimmt, nur das für uns zu sein, was es für uns ist. Das In      
  09 und Außer uns seyn, ist selbst nur eine Art des sinnlichen Vorstellens,      
  10 gleich wie das Einerleie und Verschiedene nur eine Art des intellectuellen      
  11 Vorstellens ist. Sieht man von Sinnlichkeit und Verstand      
  12 weg, so gibt es kein In und Außer, kein Einerleies und Verschiedenes.      
  13 Da man aber doch nicht umhin kann, zu fragen: welches denn die      
  14 letzte von allen Bedingungen unsrer Sinnlichkeit (der Form und Materie      
  15 nach) und der Apperception unabhängige Grund der Vorstellungen      
  16 sei, so ist die Antwort: dieser letzte Grund ist für unsern Verstand      
  17 weiter nichts als ein Gedanke in negativer Bedeutung, d.i., ein solcher,      
  18 dem kein Obiekt entspricht; der aber doch als bloßer Gedanke gar wohl      
  19 zulässig, ia so gar nothwendig ist, weil sich die theoretische Vernunft      
  20 im Denken nicht schlechthin eingeschränkt findet auf die uns mögliche      
  21 Erfahrung und die praktische Vernunft Gründe darbieten kann, einem      
  22 solchen Gedanken Realität, obgleich nur in praktischer Absicht, zuzugestehen.      
  23 Man kann von den Dingen an sich, wovon wir bloß einen      
  24 negativen Begriff haben, nicht sagen: sie afficiren, weil der Begriff      
  25 der Affection ein reales Verhältniß zwischen erkennbaren Wesen aussagt,      
  26 folglich zu seinem Gebrauche erfordert, daß die sich verhaltenden      
  27 Dinge gegeben und positiv bestimmt sein. Man kann daher auch nicht      
  28 sagen: Die Dinge an sich bringen Vorstellungen von sich in das Gemüth      
  29 hinein; denn der problematische Begriff von ihnen ist selbst nur      
  30 ein Beziehungspunkt der Vorstellungen des Gemüths, ein Gedankending.      
  31 Wir erkennen also durchaus nichts, als Erscheinungen, aber indem      
  32 wir dieses einsehen, setzen wir zugleich im Gedanken ein Etwas,      
  33 was Nichterscheinung ist, lassen gleichsam einen leeren Raum durch      
  34 bloße logische Position für das praktische Erkenntniß. Das Kapitel      
  35 der Kritik S. 294 ff. läßt hier die wahre Ansicht nicht verfehlen.      
           
           
     

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