Kant: AA XII, Briefwechsel 1798 , Seite 249

     
           
 

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    813.      
  02 Von Christoph Friedrich Ammon.      
           
  03 Göttingen am 4n Aug. 1798.      
           
  04 Verehrungswürdigster Weiser      
           
  05 Herr Reinbott, ein iunger Theologe aus Petersburg, den das      
  06 Machtgebot seines Kaisers von uns abruft, wird Ihnen die innige      
  07 Hochachtung und Ehrerbietung bezeugen, welche seine Lehrer mit ihm      
  08 für Ihren Geist und Ihre Verdienste erfüllt. Der Sieg der kritischen      
  09 Philosophie, besonders von ihrer praktischen Seite, wird auch auf unserer      
  10 Akademie immer entscheidender. Vergebens bieten, die sophistische      
  11 Gnosis und die Gewalt des Buchstabens, ihre Kräfte gegen sie auf;      
  12 das Studium derselben bekommt dadurch nur neues Leben, und ihre      
  13 Erkentniß mehr Gründlichkeit und eine grössere Reinheit, als auf den      
  14 Universitäten, wo man sie mit einem kritisch scheinenden Scholasticismus      
  15 zu verbrillantiren sucht.      
           
  16 Nach meiner eigenen, sich immer mehr ausbildenden und begründenden      
  17 Überzeugung, ist die Moraltheologie die einzig wahre, reine,      
  18 lebendige, und zugleich die Theologie Iesu und seiner Schüler. Nach      
  19 meiner Einsicht enthalten die Worte der Schrift: "ich will mein Gesez      
  20 in ihr Herz, und meine Kentniß in ihren Verstand schreiben": die Basis      
  21 aller, auch der christlichen Offenbarung. An dieser unmittelbaren moralisch=religiösen      
  22 Offenbarung müßen wir, dünkt mich, festhalten, wenn      
  23 nicht alle Religion zu Grunde gehen soll. Die mittelbare Offenbarung      
  24 der Naturalisten (empirischen Rationalisten) in und durch die sichtbare      
  25 Welt, scheint mir so gut, als gar keine, da es ihr an allen Principien      
  26 der Moral und Religion fehlt.      
           
  27 Doch ich vergesse die Discretion, die ich Ihrer Zeit und den Wissenschaften      
  28 schuldig bin. Nur die Wichtigkeit des Gegenstandes kan mir      
  29 den Wunsch erlauben, daß es Ihre Muße gestatten möge, mich über      
  30 die Frage:      
           
  31 ob nicht das Moralgesez in uns (nach dem Neuen T. der Geist,      
  32 der uns das Zeugniß gibt), nach der ganzen Einrichtung unserer      
  33 vernünftigen Natur, die einzige Basis einer unmittelbaren göttlichen      
  34 Offenbarung seyn müsse, wenn sie überhaupt statt finden      
  35 soll?      
  36 nur mit wenigen Zeilen zu belehren.      
           
           
     

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