Kant: AA XII, Briefwechsel 1798 , Seite 256

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 eines Räsonnements und die Annehmlichkeit einer Erzählung deutlicher      
  02 wahrgenommen und mit mehr Vergnügen empfunden.      
           
  03 Aber wie klein bleibt bey allem diesen der Ersatz für die Leiden,      
  04 welche ich von Zeit zu Zeit auszustehen habe! und wie lange werde      
  05 ich diesen Kampf noch kämpfen müssen!      
           
  06 Sie haben von der Macht des Gemüths über den Schmerz und      
  07 selbst über Krankheiten in Ihrem Briefe an Hufeland, geredet. Ich      
  08 bin vollkommen darüber mit Ihnen einig, und weiß es aus eigner      
  09 Erfahrung, daß das Denken eine Heilkraft habe. Aber dieses Mittel      
  10 lässt sich nicht bey Allen auf gleiche Weise anwenden. Einige, zu welchen      
  11 auch Sie gehören, helfen ihrem Uebel dadurch ab, daß sie ihre      
  12 Aufmerksamkeit davon abwenden. Ich habe den meinigen, zB. Zahnschmerzen,      
  13 dadurch am besten abhelfen können, indem ich meine Aufmerksamkeit      
  14 darauf concentrirt, u. an nichts als an meinen Schmerz      
  15 gedacht habe. Aber solche äußere Uebel, wie das an welchem ich jetzt      
  16 leide, sind der Macht des Gemüths am wenigsten unterworfen; und      
  17 wie es scheint ganz mechanisch u. körperlich. Doch sie sind der Macht      
  18 der Vorsehung und des Weltregierers unterworfen. Dieser erhalte      
  19 Ihnen die Gesundheit und die Kräfte, deren Sie bisher in einem hohen      
  20 Alter genossen haben. Er bringe mich mit erträglichen Schmerzen zum      
  21 Ziele meines Lebens; da eine frühere Befreyung von denselben unmöglich      
  22 ist. Ich bin mit dem aufrichtigsten Herzen      
           
  23   Ihr      
  24   ergebener Freund      
  25   C Garve      
           
           
    820.      
  27 An Christian Garve.      
           
  28 Königsberg den 21sten Sept. 1798.      
           
  29 Ich eile, Theuerster Freund! den mir den 19 ten Septembr. gewordenen      
  30 Empfang Ihres liebevollen und seelenstärkenden Buchs und      
  31 Briefes (bey deren letzterem ich das Datum vermisse) zu melden.      
  32 Die erschütternde Beschreibung Ihrer körperlichen Leiden, mit der Geisteskraft      
  33 über sie sich wegzusetzen und fürs Weltbeste noch immer mit Heiterkeit      
  34 zu arbeiten, verbunden, erregen in mir die größte Bewunderung.      
  35 - Ich weiß aber nicht, ob, bey einer gleichen Bestrebung meinerseits,      
  36 das Loos, was mir gefallen ist, von Ihnen nicht noch schmertzhafter      
           
     

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