Kant: AA XII, Briefwechsel 1798 , Seite 264

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Eur. Wohlgeboren bitte ich gehorsamst, meinen Sohn das Weitere      
  02 aufzutragen, der es mit Freuden an mich bestellen wird. ich entsinne      
  03 mich in Berlin die Französisch=Lateinische Ueberschrift an der Königl.      
  04 Bibliothek gelesen zu haben: Nutrimentum spiritus . Diese Inschrift      
  05 würde nicht ganz unrecht auf eine Tabaks Niederlage paßen. Wenigstens      
  06 würde der ehrliche Montagne, es aus dem Compliment, was      
  07 man dem Niesen macht, beweisen daß: solches eigentlich eine Achtungsbezeugung      
  08 gegen die geistigen Kräfte sey. Mithin, ergiebt sich ein Zusammenhang      
  09 zwischen: Tabak und Bibliothek, und es kan meinem      
  10 August nützlich werden, bei Gelegenheit des erstern an die letztere zu      
  11 denken; wie ohngefehr die Alten in ihrer weisen Sprache zu sagen      
  12 pflegten: in otio cogita de negotio et in angulo cogita de angelo      
           
  13 Indeßen bin ich sehr überzeugt, daß mein guter Sohn dergleichen      
  14 Hülfsmittelchen in Hinsicht auf die Erfüllung seiner Pflichten wol nicht      
  15 eben bedarf, vorzüglich aber in dem Falle nicht, wenn er so glüklich      
  16 ist, bisweilen unmittelbar aus der Quelle zu schöpfen, der er gewiß      
  17 einzig und allein seine sittliche Erziehung und Bildung zu danken hat.      
  18 Gütiger kan man nicht seyn, als Sie, Verehrungswürdigster! es sind,      
  19 da Sie Sich herabließen, ihm die Ehre der Sitzung an Ihrer Seite      
  20 zu gönnen und es ihm so auf seine ganze Lebenszeit einzudrükken, wie      
  21 beneidenswerth das Loos seines Vaters war, der von Ihnen, während      
  22 seines akademischen Lebens, unmittelbar die Grundsäzze des Denkens      
  23 und Handelns empfing, welche seine Glükseligkeit eben so unerschütterlich      
  24 machen, als es das System der Vernunft und Wahrheit stets seyn      
  25 wird. Mit dem gerührtesten Herzen, danke ich Ihnen für diese so      
  26 große Güte! Wiewol ich fühle, daß kein Dank, als nur derjenige      
  27 Ihnen nachzuahmen, Ihrer würdig seyn kan, so ist doch nichts desto      
  28 weniger das Bewustsein einer reinen Verpflichtung, die ich nicht nur      
  29 mit meinem Sohn, sondern mit jedem edeln Denker theile, Zwek Ihres      
  30 allgemeinen menschenfreundlichen Wohlwollens; ich darf also kühn genug      
  31 hoffen, auch hiedurch die schöne Empfindung dieses Wohlwollens auf      
  32 einen Augenblik zu beschäftigen, indem ich die Versicherungen der unbegränzten      
  33 Liebe und Verehrung erneuere, womit ich ohne Aufhören bin,      
           
  34   Eur. Wohlgeboren      
  35   ganz eigner treugehorsamster      
  36 Stolzenberg den 20ten Novbr. Diener      
  37 1798. Kuhn      
           
           
           
     

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