Kant: AA XII, Briefwechsel 1800 , Seite 317

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Nun noch eine nähere Darstellung der Lage dieser Familie, welches      
  02 gewiß auch bey Ihnen zur Rechtfertigung wegen des ihr gemachten      
  03 Vorwurfs der Unbesorgtheit hinlänglich seyn wird. Schon früher war      
  04 es die Absicht Ihres seligen Herrn Bruders mich zu seinem Amtsgehülfen      
  05 und zu seinem Schwiegersohne anzunehmen; allein unsern gemeinschaftlichen      
  06 Wünschen war ein Candidat im Wege, der schon seit      
  07 mehrern Iahren die Versicherung auf die erste Versorgung hatte, die      
  08 sich sogar dahin erstreckte, daß er Adjuncturen behindern konnte. Aller      
  09 Bemühung ungeachtet konnten wir nichts weiter erlangen, als da      
  10 man uns dahin verwieß, daß wenn sich eine anderweitige Vacanz ereignete,      
  11 dieser Candidat dahin und ich zu der Adjunctur befördert      
  12 werden sollte. Dieser Aussicht aber machte der Tod Ihres würdigen      
  13 Herrn Bruders ein Ende und nun ist jener Candidat vocirter Pastor      
  14 zu Altrahden. So war es also nicht die Schuld Ihres Bruders, wenn      
  15 er seine Familie auf diese Weise nicht vor nachheriger Verlegenheit      
  16 sichern konnte. Dies durch Ersparnisse zu bewirken, war eben so wenig      
  17 möglich, indem sein Pastorat keins von den größten ist und die Revenüen      
  18 nur dazu ausreichten, den Kindern eine gute Erziehung zu geben.      
  19 Also nur durch widerwärtige Schicksale ist diese Familie in eine      
  20 solche Dürftigkeit versetzt worden, daß sie sich nothgedrungen sah, Sie      
  21 um Ihre Unterstützung zu bitten. Mir sind anjetzt Versicherungen zu      
  22 einer baldigen Versorgung ertheilt, und erfolgt diese, so finden die      
  23 Ihrigen bey mir eine herzliche Aufnahme, indem mich die nähere Verbindung      
  24 mit Ihres seligen Bruders zweiter Tochter Minna hiezu      
  25 auf die angenehmste Weise verpflichten wird.      
           
  26 Mein einziger Wunsch ist nun, daß auch Sie, mein Verehrungswürdigster!      
  27 uns dazu Ihren Beyfall und Ihren Segen nicht versagen      
  28 und mich gern in den Kreis der Ihrigen aufnehmen möchten. Aber      
  29 nochmals bitte ich Sie auf das inständigste, daß Sie dieser armen      
  30 Familie Ihre Hülfe und Unterstüzung nicht entziehen, sondern gewiß      
  31 überzeugt seyn möchten, daß wenn Güte des Herzens und unverschuldete      
  32 harte Schicksale Anspruch auf Wohlthaten machen können, sie gewiß      
  33 mit Recht thätige Hülfsleistung verdient. Eine Mutter mit zwey Töchtern,      
  34 die nach dem verflossenen Wittwenjahre nicht wissen, wo sie eine Verbleibsstelle      
  35 und, wenn ihnen Ihre liebreiche Unterstützung entgeht, wo      
  36 sie das zur Erhaltung ihres Lebens Erforderliche hernehmen sollen!      
  37 Wollte Gott, daß ich Ihnen balde die Nachricht von meiner Anstellung      
           
     

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