Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 116

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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Fünfte Betrachtung,

     
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Worin die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Methode der

     
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Physikotheologie gewiesen wird.

     
           
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1.
     
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Von der Physikotheologie überhaupt.
     
           
  06 Alle Arten, das Dasein Gottes aus den Wirkungen desselben zu erkennen,      
  07 lassen sich auf die drei folgende bringen. Entweder man gelangt      
  08 zu dieser Erkenntniß durch die Wahrnehmung desjenigen, was die Ordnung      
  09 der Natur unterbricht und diejenige Macht unmittelbar bezeichnet,      
  10 welcher die Natur unterworfen ist, diese Überzeugung wird durch Wunder      
  11 veranlaßt; oder die zufällige Ordnung der Natur, von der man deutlich      
  12 einsieht, daß sie auf vielerlei andere Art möglich war, in der gleichwohl      
  13 große Kunst, Macht und Güte hervorleuchtet, führt auf den göttlichen      
  14 Urheber, oder drittens die nothwendige Einheit, die in der Natur      
  15 wahrgenommen wird, und die wesentliche Ordnung der Dinge, welche      
  16 großen Regeln der Vollkommenheit gemäß ist, kurz das, was in der Regelmäßigkeit      
  17 der Natur Nothwendiges ist, leitet auf ein oberstes Principium      
  18 nicht allein dieses Daseins, sondern selbst aller Möglichkeit.      
           
  19 Wenn Menschen völlig verwildert sind, oder eine halsstarrige Bosheit      
  20 ihre Augen verschließt, alsdann scheint das erstere Mittel einzig und      
  21 allein einige Gewalt an sich zu haben, sie vom Dasein des höchsten Wesens      
  22 zu überführen. Dagegen findet die richtige Betrachtung einer wohlgearteten      
  23 Seele an so viel zufälliger Schönheit und zweckmäßiger Verbindung,      
  24 wie die Ordnung der Natur darbietet, Beweisthümer genug, einen mit      
  25 großer Weisheit und Macht begleiteten Willen daraus abzunehmen, und      
  26 es sind zu dieser Überzeugung, so fern sie zum tugendhaften Verhalten      
  27 hinlänglich, das ist, moralisch gewiß sein soll, die gemeine Begriffe des      
  28 Verstandes hinreichend. Zu der dritten Art zu schließen wird nothwendiger      
  29 Weise Weltweisheit erfordert, und es ist auch einzig und allein ein      
  30 höherer Grad derselben fähig, mit einer Klarheit und Überzeugung, die      
  31 der Größe der Wahrheit gemäß ist, zu dem nämlichen Gegenstande zu gelangen.      
           
     

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