Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 135

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Schöpfung her besonders abgerichtet war, wie z. E. die Sündfluth nach      
  02 dem Lehrgebäude verschiedener Neuern. Alsdann ist aber die Begebenheit      
  03 nicht weniger übernatürlich. Die Naturwissenschaft, wovon die gedachte      
  04 Weltweise hiebei Gebrauch machen, dient nur dazu ihre eigene Geschicklichkeit      
  05 zu zeigen und etwas zu ersinnen, was sich etwa nach allgemeinen      
  06 Naturgesetzen eräugnen könnte, und dessen Erfolg auf die vorgegebene      
  07 außerordentliche Begebenheit hinausliefe. Denn sonst ist ein solches Verfahren      
  08 der göttlichen Weisheit nicht gemäß, die niemals darauf abzielt      
  09 mit unnützer Kunst zu prahlen, welche man selbst an einem Menschen      
  10 tadeln würde, der, wenn ihn z. E. nichts abhielte eine Kanone unmittelbar      
  11 abzufeuern, ein Feuerschloß mit einem Uhrwerk anbringen wollte,      
  12 wodurch sie in dem gesetzten Augenblick durch mechanische sinnreiche Mittel      
  13 losbrennen sollte.      
           
  14 Drittens, wenn gewisse Stücke der Natur als eine von der Schöpfung      
  15 her daurende Anstalt, die unmittelbar von der Hand des großen      
  16 Werkmeisters herrührt, angesehen werden; und zwar wie eine Anstalt, die      
  17 als ein einzelnes Ding und nicht wie eine Anordnung nach einem beständigen      
  18 Gesetze eingeführt worden; z. E. wenn man behauptet, Gott habe      
  19 die Gebirge, die Flüsse, die Planeten und ihre Bewegung mit dem Anfange      
  20 aller Dinge ziemlich unmittelbar geordnet. Da ohne Zweifel ein      
  21 Zustand der Natur der erste sein muß, in welchem die Form der Dinge      
  22 eben so wohl wie die Materie unmittelbar von Gott abhängt, so hat diese      
  23 Art zu urtheilen in so fern einen philosophischen Grund. Indessen weil      
  24 es übereilt ist, ehe und bevor man die Tauglichkeit, die den Naturdingen      
  25 nach allgemeinen Gesetzen eigen ist, geprüft hat, eine Anstalt unmittelbar      
  26 der Schöpfungshandlung beizumessen, darum weil sie vortheilhaft und      
  27 ordentlich ist, so ist sie in so weit nur in sehr kleinem Grade philosophisch.      
           
  28 Viertens, wenn man einer künstlichen Ordnung der Natur etwas      
  29 beimißt, bevor die Unzulänglichkeit, die sie hiezu nach gemeinen Gesetzen      
  30 hat, gehörig erkannt worden, z. E. wenn man etwas aus der Ordnung      
  31 des Pflanzen= und Thierreichs erklärt, was vielleicht in gemeinen mechanischen      
  32 Kräften liegt, blos deswegen weil Ordnung und Schönheit darin      
  33 groß sind. Das Philosophische dieser Art zu urtheilen ist alsdann noch      
  34 geringer, wenn ein jedes einzelne Thier oder Pflanze unmittelbar der      
  35 Schöpfung untergeordnet wird, als wenn außer einigem unmittelbar Erschaffenen      
  36 die andere Producte demselben nach einem Gesetze der Zeugungsfähigkeit      
  37 (nicht blos des Auswickelungsvermögens) untergeordnet      
           
     

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