Kant: AA II, Versuch den Begriff der ... , Seite 167

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01

Vorrede.

     
           
  02 Der Gebrauch, den man in der Weltweisheit von der Mathematik      
  03 machen kann, besteht entweder in der Nachahmung ihrer Methode, oder      
  04 in der wirklichen Anwendung ihrer Sätze auf die Gegenstände der Philosophie.      
  05 Man sieht nicht, daß der erstere bis daher von einigem Nutzen      
  06 gewesen sei, so großen Vortheil man sich auch anfänglich davon versprach;      
  07 und es sind auch allmählich die vielbedeutende Ehrennamen weggefallen,      
  08 mit denen man die philosophische Sätze aus Eifersucht gegen die Geometrie      
  09 ausschmückte, weil man bescheidentlich einsah: daß es nicht wohl      
  10 stehe in mittelmäßigen Umständen trotzig zu thun und das beschwerliche      
  11 non liquet allem diesem Gepränge keinesweges weichen wollte.      
           
  12 Der zweite Gebrauch ist dagegen für die Theile der Weltweisheit,      
  13 die er betroffen hat, desto vortheilhafter geworden, welche dadurch, daß sie      
  14 die Lehren der Mathematik in ihren Nutzen verwandten, sich zu einer      
  15 Höhe geschwungen haben, darauf sie sonst keinen Anspruch hätten machen      
  16 können. Es sind dieses aber auch nur die zur Naturlehre gehörige Einsichten,      
  17 man müßte denn etwa die Logik der Erwartungen in Glücksfällen      
  18 auch zur Weltweisheit zählen wollen. Was die Metaphysik anlangt, so      
  19 hat diese Wissenschaft, anstatt sich einige von den Begriffen oder Lehren      
  20 der Mathematik zu Nutze zu machen, vielmehr sich öfters wider sie bewaffnet,      
  21 und wo sie vielleicht sichere Grundlagen hätte entlehnen können,      
  22 um ihre Betrachtungen darauf zu gründen, sieht man sie bemüht, aus den      
  23 Begriffen des Mathematikers nichts als feine Erdichtungen zu machen,      
  24 die außer seinem Felde wenig Wahres an sich haben. Man kann leicht      
  25 errathen, auf welcher Seite der Vortheil sein werde in dem Streite zweier      
           
     

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