Kant: AA II, Beobachtungen über das ... , Seite 226

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Es ist einmal gebräuchlich, nur dasjenige nützlich zu nennen, was      
  02 unserer gröberen Empfindung ein Gnüge leisten kann, was uns Überflu      
  03 im Essen und Trinken, Aufwand in Kleidung und in Hausgeräthe, imgleichen      
  04 Verschwendung in Gastereien verschaffen kann, ob ich gleich nicht      
  05 sehe, warum nicht alles, was nur immer meinem lebhaftesten Gefühl erwünscht      
  06 ist, eben so wohl den nützlichen Dingen sollte beigezählt werden.      
  07 Allein alles gleichwohl auf diesen Fuß genommen, so ist derjenige, welchen      
  08 der Eigennutz beherrscht, ein Mensch, mit welchem man über den feineren      
  09 Geschmack niemals vernünfteln muß. Ein Huhn ist freilich in solchem Betracht      
  10 besser als ein Papagei, ein Kochtopf nützlicher als ein Porcellängeschirr,      
  11 alle witzige Köpfe in der Welt gelten nicht den Werth eines      
  12 Bauren, und die Bemühung die Weite der Fixsterne zu entdecken kann so      
  13 lange ausgesetzt bleiben, bis man übereingekommen sein wird, wie der      
  14 Pflug auf das vortheilhafteste könne geführt werden. Allein welche Thorheit      
  15 ist es, sich in einen solchen Streit einzulassen, wo es unmöglich ist sich      
  16 einander auf einstimmige Empfindungen zu führen, weil das Gefühl gar      
  17 nicht einstimmig ist! Gleichwohl wird doch ein Mensch von der gröbsten      
  18 und gemeinsten Empfindung wahrnehmen können: daß die Reize und Annehmlichkeiten      
  19 des Lebens, welche die entbehrlichste zu sein scheinen, unsere      
  20 meiste Sorgfalt auf sich ziehen, und daß wir wenig Triebfedern zu so vielfältigen      
  21 Bemühungen übrig haben würden, wenn wir jene ausschließen      
  22 wollten. Imgleichen ist wohl niemand so grob, daß er nicht empfinde, daß      
  23 eine sittliche Handlung wenigstens an einem andern um desto mehr rühre,      
  24 je weiter sie vom Eigennutze ist, und je mehr jene edlere Antriebe in ihr      
  25 hervorstechen.      
           
  26 Wenn ich die edele und schwache Seite der Menschen wechselsweise      
  27 bemerke, so verweise ich es mir selbst, daß ich nicht demjenigen Standpunkt      
  28 zu nehmen vermag, von wo diese Abstechungen das große Gemälde der      
  29 ganzen menschlichen Natur gleichwohl in einer rührenden Gestalt darstellen.      
  30 Denn ich bescheide mich gerne: daß, so fern es zu dem Entwurfe      
           
     

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