Kant: AA II, M. Immanuel Kants Nachricht ... , Seite 312

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 welche im Stande der weisen Einfalt angemessen sei, was dagegen die      
  02 Vorschrift seines Verhaltens sei, wenn er, indem er aus beiderlei Grenzen      
  03 herausgeht, die höchste Stufe der physischen oder moralischen Vortrefflichkeit      
  04 zu berühren trachtet, aber von beiden mehr oder weniger abweicht.      
  05 Diese Methode der sittlichen Untersuchung ist eine schöne Entdeckung unserer      
  06 Zeiten und ist, wenn man sie in ihrem völligen Plane erwägt, den      
  07 Alten gänzlich unbekannt gewesen.      
           
  08 4. Physische Geographie. Als ich gleich zu Anfange meiner akademischen      
  09 Unterweisung erkannte, daß eine große Vernachlässigung der      
  10 studirenden Jugend vornehmlich darin bestehe, daß sie frühe vernünfteln      
  11 lernt, ohne gnugsame historische Kenntnisse, welche die Stelle der      
  12 Erfahrenheit vertreten können, zu besitzen: so faßte ich den Anschlag,      
  13 die Historie von dem jetzigen Zustande der Erde oder die Geographie im      
  14 weitesten Verstande zu einem angenehmen und leichten Inbegriff desjenigen      
  15 zu machen, was sie zu einer praktischen Vernunft vorbereiten und      
  16 dienen könnte, die Lust rege zu machen, die darin angefangene Kenntnisse      
  17 immer mehr auszubreiten. Ich nannte eine solche Disciplin von demjenigen      
  18 Theile, worauf damals mein vornehmstes Augenmerk gerichtet      
  19 war: physische Geographie. Seitdem habe ich diesen Entwurf allmählig      
  20 erweitert, und jetzt gedenke ich, indem ich diejenige Abtheilung mehr zusammenziehe,      
  21 welche auf die physische Merkwürdigkeiten der Erde geht,      
  22 Zeit zu gewinnen, um den Vortrag über die andern Theile derselben, die      
  23 noch gemeinnütziger sind, weiter auszubreiten. Diese Disciplin wird also      
  24 eine physische, moralische und politische Geographie sein, worin zuerst      
  25 die Merkwürdigkeiten der Natur durch ihre drei Reiche angezeigt      
  26 werden, aber mit der Auswahl derjenigen unter unzählig andern, welche      
  27 sich durch den Reiz ihrer Seltenheit, oder auch durch den Einfluß, welchen      
  28 sie vermittelst des Handels und der Gewerbe auf die Staaten haben, vornehmlich      
  29 der allgemeinen Wißbegierde darbieten. Dieser Theil, welcher      
  30 zugleich das natürliche Verhältniß aller Länder und Meere und den      
  31 Grund ihrer Verknüpfung enthält, ist das eigentliche Fundament aller      
  32 Geschichte, ohne welches sie von Märchenerzählungen wenig unterschieden      
  33 ist. Die zweite Abtheilung betrachtet den Menschen nach der Mannigfaltigkeit      
  34 seiner natürlichen Eigenschaften und dem Unterschiede desjenigen,      
  35 was an ihm moralisch ist, auf der ganzen Erde; eine sehr wichtige und      
  36 eben so reizende Betrachtung, ohne welche man schwerlich allgemeine Urtheile      
  37 vom Menschen fällen kann, und wo die unter einander und mit dem      
           
     

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