Kant: AA XX, Bemerkungen zu den Beobachtungen ... , Seite 191

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Es ist merkwürdig daß das Frauenzimmer in sachen der Zierde der      
  02 Anstandigkeit u. der politesse so viel Achtsamkeit u. Gedächtnis die      
  03 Männer aber darin so wenig haben      
           
  04 Man ist nicht Mitleidig über den Gram und die Verzweiflung eines      
  05 anderen sondern über dieselbe in so fern ihre Ursachen natürlich u.      
  06 nicht eingebildet seyn. Daher hat der Handwerker kein Mitleiden mit      
  07 einem banqerotirten Kaufmann der zum Stande eines Mäcklers oder      
  08 Bedienten herabgesetzt ist weil er nicht sieht daß ihm etwas anders als      
  09 die eingebildeten Bedürfnisse abgehen. Der Kaufmann hat kein Mitleiden      
  10 mit einem in Ungnade gefallenen Hofmann der auf seinen Gütern      
  11 nach Verlust der Chargen leben muß. Doch wenn beyde als Wohlthater      
  12 der Menschen angesehen werden so betrachtet man die Übel nicht nach      
  13 seiner sondern des anderen Empfindung. Der Kaufmann aber hat mit      
  14 einem anderen der sonst redlich ist seinem Umsturtz mitleiden wenn er      
  15 davon nicht vortheil hat weil er eben dasselbe eingebildete Bedürfnis hat      
  16 wie der andere. Allenfals hat man bey einem sonst sanftmüthigen      
  17 Frauenzimmer auch mitleiden mit ihrem Gram über das eingebildete      
  18 Unglük weil man den Mann wegen seiner Schwäche in einem solchen Fall      
  19 verachtet die Frau aber nicht. Jedermann aber hat mitleiden mit dem      
  20 Übel das den wahren Bedürfnissen entgegen gesetzt ist. Daraus folgt      
  21 daß die Gutherzigkeit eines menschen von viel Üppigkeit ein sehr ausgebreitet      
  22 Mitleiden enthalten werde des Menschen der Einfalt aber ein      
  23 sehr eingeschränktes Man hat mit seinen Kindern uneingeschranktes      
  24 Mitleiden      
           
  25 Je ausgebreiteter das mitleiden ist wenn die Kräfte dieselben bleiben      
  26 desto müssiger ist es je mehr hiebey noch die eingebildete Bedürfnisse      
  27 wachsen desto großer ist das Hinderniß des noch übrigen Vermögens gutes      
  28 zu thun. Daher wird die Wohlgewogenheit des üppigen Zustandes ein      
  29 blosser Wahn      
           
           
    01 Dünne Schrift, gleiche (schwarze) Tinte wie bisher.      
    04 Loses Blatt R. Sch. 256 — 7. Hb 636 — 7. Ki 336/ 7. Erste Seite. den? dem?      
    05 anderen? andern? natürl. δ se      
    06 Mitleiden? Mitleid?? δ der      
    10 Vor: Ungnade δ: ungnade      
    11 der δ Charg      
    13 u. 14 anderen? andern?      
    14 redl:      
    15 nicht Sigel.      
    19 Jederman δ hab      
    25 Zweite Silbe.      
    26 müssiger? mässiger??      
    27 des v.a. der?      
    28 Wohlgew.      
    29 Kurzer Trennungsstrich.      
           
           
     

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