Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 328

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Vorstellung nicht in der empirischen Vorstellung gegebne werden kann;      
  02 z.B.: Es ist alles Naturnothwendigkeit, und daher keine Freyheit, dem      
  03 die Antithesis entgegensteht, es giebt Freyheit, und es ist nicht alles      
  04 Naturnothwendigkeit, wo mithin ein sceptischer Zustand eintritt, der      
  05 einen Stillestand der Vernunft hervorbringt.      
           
  06 Denn, was die erstern betrifft, so können, gleichwie in der Logik      
  07 zwey einander contrarisch entgegengesetzte Urtheile, weil das eine mehr      
  08 sagt, als zur Opposition erfordert wird, alle beyde falsch seyn, also auch      
  09 in der Metaphysik. So enthält der Satz: die Welt hat keinen Anfang,      
  10 den Satz: die Welt hat einen Anfang, nicht mehr oder weniger, als zur      
  11 Opposition erfordert wird, und einer von beyden müßte wahr, der andre      
  12 falsch seyn. Sage ich aber, sie hat keinen Anfang, sondern ist von Ewigkeit      
  13 her, so sage ich mehr, als zur Opposition erforderlich ist. Denn außer      
  14 dem, was die Welt nicht ist, sage ich noch was sie ist. Nun wird die Welt,      
  15 als ein absolutes Ganzes betrachtet, wie ein Noumenon gedacht, und      
  16 doch nach Anfang, oder unendlicher Zeit als Phänomen. Sage ich nun      
  17 diese intellectuelle Totalität der Welt aus, oder spreche ich ihr Grenzen      
  18 zu als Noumenon, so ist beydes falsch. Denn mit der absoluten Totalität      
  19 der Bedingungen in einer Sinnenwelt, d.i. in der Zeit, widerspreche      
  20 ich mir selbst, ich mag sie als unendlich, oder als begrenzt, in einer mü möglichen      
  21 Anschauung gegeben mir vorstellen.      
           
  22 Dagegen sie, so wie in der Logik subcontrarie einander entgegengesetzte      
  23 Urtheile, beyde wahr sein können, weil jedes weniger sagt,      
  24 als zur Opposition erfordert wird: so können in der Metaphysik zwey      
  25 synthetische Urtheile, die auf Gegenstände der Sinne gehen, aber nur      
  26 das Verhältniß der Folge zu den Gründen betreffen, beyde wahr seyn,      
  27 weil die Reihe der Bexingungen in zweyerley verschiedener Art, nämlich      
  28 als Object der Sinnlichkeit oder der bloßen Vernunft betrachtet wird.      
  29 Denn die bedingten Folgen sind in der Zeit gegeben, die Gründe aner      
  30 oder die Bedingungen, denkt man sich dazu, und können mancherley      
  31 sein. Sage ich also: Alle Begebenheiten in der Sinnenwelt geschehen aus      
  32 Naturursachen, so lege ich Bedingungen zum Grunde, als Phänomene.      
  33 Sagt der Gegener: Es geschieht nicht allse aus Naturarsachen (causa      
  34 phaenomen.), so würde das erstere falsch seyn müssen. Sage ich aber:      
  35 Es geschieht nicht alles aus bloßen Naturursachen, sondern es kann auch      
  36 zugleich aus übersinnlichen Gründen (causa noumen.) geschehen,      
  37 so sage ich weniger, als zur Entgegensetzung gegen die Totalität der      
  38 Bedingungen in der Sinnenwelt erfordert wird, denn ich nehme eine      
  39 Ursache an, die nicht auf jene Art Bedingungen, aber auf die der Sinnenvorstellung      
           
           
           
     

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