Kant: AA XXIII, Vorarbeiten zu Die Metaphysik der ... , Seite 394

   
         
 

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  01 Alle Verbindlichkeit setzt nämlich ein Gesetz voraus. Geht dieses    
  02 Gesetz bestimmt und unmittelbar auf die Handlung so daß die Art wie?    
  03 und der Grad wie viel? in ihr ausgeübt werden soll im Gesetz bestimmt    
  04 ist so ist die Verbindlichkeit vollkommen (obligatio perfecta) und das    
  05 Gesetz ist stricte obligans es bleibt uns keine Wahl übrig weder für    
  06 ausnahmen wenn das Gesetz in seiner allgemeinheit gültig ist noch für    
  07 das Maas der Befolgung desselben. Gebietet aber das Gesetz nur nicht    
  08 unmittelbar die Handlung sondern nur die Maxime der Handlung läßt    
  09 es dem Urtheil des Subjects frey die Art wie und das Maas in welchem    
  10 Grad das Gebotene ausgeübt werden solle nur daß so viel als uns unter    
  11 den gegebenen Bedingungen möglich ist davon zu thun nothwendig    
  12 sey so ist die Verbindlichkeit unvollkommen und das Gesetz nicht von enger    
  13 sondern nur weiter Verbindlichkeit late obligans. -    
         
  14 Man sieht hieraus daß in dem letzteren Falle nicht blos die Form    
  15 der Gesetzmäßigkeit sondern auch eine Materie der Willkühr d. i. ein    
  16 Zweck durchs Gesetz zur Pflicht gemacht werde welcher als physischer    
  17 Effekt weil er immer empirische Bedingungen an sich hat eine Überlegung    
  18 in Ansehung technisch=practischer Imperative und eine Wahl zuläßt    
  19 wo ich etwas Verdienstlich=gutes thun kann anstatt daß die strenge    
  20 Verpflichtung (obligatio perfecta welche nicht als eine solche zu einem    
  21 äußern Zwang möglich ist betrachtet werden muß) alles was auf die    
  22 Art Pflicht zur bloßen Schuldigkeit macht    
         
  23 Weil der moralische Begriff von Recht (rectum) oder unrecht (minus    
  24 rectum) das minimum der Handlung dadurch einem Gesetz (Regel)    
  25 folge Geleistet werden mag ausdrückt so daß auch nicht das Mindeste    
  26 davon nachgelassen werden mithin das Gesetz in der Anwendung nicht    
  27 nachsichtlich (indulgent) seyn kan so kan die schuldige Pflicht auch die aus    
  28 dem Rechte die verdienstliche Pflicht aber die Pflicht aus dem Zwecke    
  29 des Subjects genannt werden. Die erste Art Pflicht kan im allgemeinen    
  30 Rechtspflicht officium iuris die zweyte officium ethicum mithin Tugendpflicht    
  31 genannt werden weil Tugend moralische Stärke (des Vorsatzes    
  32 und der That) ist alles was Pflicht ist im größtmöglichem Maaße thut.    
         
  33 Das minimum ist die Unterlassung (negatio) das maximum ist Erweiterung    
  34 des Zwecks.    
         
         
     

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