Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 040

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 verlangt, in der That gar nicht stattfinde, beruht nun das Stehen und      
  02 Fallen der Metaphysik. David Hume, der dieser Aufgabe unter allen      
  03 Philosophen noch am nächsten trat, sie aber sich bei weitem nicht bestimmt      
  04 genug und in ihrer Allgemeinheit dachte, sondern bloß bei dem synthetischen      
  05 Satze der Verknüpfung der Wirkung mit ihren Ursachen ( Principium      
  06 causalitatis ) stehen blieb, glaubte heraus zu bringen, daß ein solcher      
  07 Satz a priori gänzlich unmöglich sei, und nach seinen Schlüssen würde      
  08 alles, was wir Metaphysik nennen, auf einen bloßen Wahn von vermeinter      
  09 Vernunfteinsicht dessen hinauslaufen, was in der That bloß aus      
  10 der Erfahrung erborgt, und durch Gewohnheit den Schein der Nothwendigkeit      
  11 überkommen hat; auf welche alle reine Philosophie zerstörende      
  12 Behauptung er niemals gefallen wäre, wenn er unsere Aufgabe in ihrer      
  13 Allgemeinheit vor Augen gehabt hätte, da er dann eingesehen haben      
  14 würde, daß nach seinem Argumente es auch keine reine Mathematik geben      
  15 könnte, weil diese gewiß synthetische Sätze a priori enthält, vor welcher      
  16 Behauptung ihn alsdann sein guter Verstand wohl würde bewahrt haben.      
           
  17 In der Auflösung obiger Aufgabe ist zugleich die Möglichkeit des      
  18 reinen Vernunftgebrauchs in Gründung und Ausführung aller Wissenschaften,      
  19 die eine theoretische Erkenntniß a priori von Gegenständen enthalten,      
  20 mit begriffen, d. i. die Beantwortung der Fragen:      
           
  21 Wie ist reine Mathematik möglich?      
  22 Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?      
  23 Von diesen Wissenschaften, da sie wirklich gegeben sind, läßt sich nun wohl      
  24 geziemend fragen: wie sie möglich sind; denn daß sie möglich sein müssen,      
  25 wird durch ihre Wirklichkeit bewiesen.*) Was aber Metaphysik betrifft,      
  26 so muß ihr bisheriger schlechter Fortgang, und weil man von keiner einzigen      
  27 bisher vorgetragenen, was ihren wesentlichen Zweck angeht, sagen      
  28 kann, sie sei wirklich vorhanden, einen jeden mit Grunde an ihrer Möglichkeit      
  29 zweifeln lassen.      
           
           
    *) Von der reinen Naturwissenschaft könnte mancher dieses letztere noch bezweifeln. Allein man darf nur die verschiedenen Sätze, die im Anfange der eigentlichen (empirischen) Physik vorkommen, nachsehen, als den von der Beharrlichkeit derselben Quantität Materie, von der Trägheit, der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung u. s. w.: so wird man bald überzeugt werden, daß sie eine Physicam puram (oder rationalem ) ausmachen, die es wohl verdient, als eigene Wissenschaft in ihrem engen oder weiten, aber doch ganzen Umfange abgesondert aufgestellt zu werden.      
           
     

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