Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 055

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Schlüsse aus obigen Begriffen.
     
           
  02 a) Der Raum stellt gar keine Eigenschaft irgend einiger Dinge an      
  03 sich, oder sie in ihrem Verhältniß auf einander vor, d. i. keine Bestimmung      
  04 derselben, die an Gegenständen selbst haftete, und welche bliebe, wenn man      
  05 auch von allen subjectiven Bedingungen der Anschauung abstrahirte.      
  06 Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein      
  07 der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut      
  08 werden.      
           
  09 b) Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen      
  10 äußerer Sinne, d. i. die subjective Bedingung der Sinnlichkeit,      
  11 unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist. Weil nun die Receptivität      
  12 des Subjects, von Gegenständen afficirt zu werden, nothwendiger      
  13 Weise vor allen Anschauungen dieser Objecte vorhergeht, so läßt sich      
  14 verstehen, wie die Form aller Erscheinungen vor allen wirklichen Wahrnehmungen,      
  15 mithin a priori im Gemüthe gegeben sein könne, und wie sie      
  16 als eine reine Anschauung, in der alle Gegenstände bestimmt werden      
  17 müssen, Principien der Verhältnisse derselben vor aller Erfahrung enthalten      
  18 könne.      
           
  19 Wir können demnach nur aus dem Standpunkte eines Menschen vom      
  20 Raum, von ausgedehnten Wesen etc. reden. Gehen wir von der subjectiven      
  21 Bedingung ab, unter welcher wir allein äußere Anschauung bekommen      
  22 können, so wie wir nämlich von den Gegenständen afficirt werden      
  23 mögen, so bedeutet die Vorstellung vom Raume gar nichts. Dieses Prädicat      
  24 wird den Dingen nur in so fern beigelegt, als sie uns erscheinen,      
  25 d. i. Gegenstände der Sinnlichkeit sind. Die beständige Form dieser Receptivität,      
  26 welche wir Sinnlichkeit nennen, ist eine nothwendige Bedingung      
  27 aller Verhältnisse, darin Gegenstände als außer uns angeschauet werden,      
  28 und wenn man von diesen Gegenständen abstrahirt , eine reine Anschauung,      
  29 welche den Namen Raum führt. Weil wir die besonderen Bedingungen      
  30 der Sinnlichkeit nicht zu Bedingungen der Möglichkeit der Sachen,      
  31 sondern nur ihrer Erscheinungen machen können, so können wir wohl      
  32 sagen, daß der Raum alle Dinge befasse, die uns äußerlich erscheinen      
  33 mögen, aber nicht alle Dinge an sich selbst, sie mögen nun angeschaut      
  34 werden oder nicht, oder auch von welchem Subject man wolle. Denn wir      
  35 können von den Anschauungen anderer denkenden Wesen gar nicht urtheilen,      
           
     

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