Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 066

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Bedingungen von Raum und Zeit; was die Gegenstände an sich selbst      
  02 sein mögen, würde uns durch die aufgeklärteste Erkenntniß der Erscheinung      
  03 derselben, die uns allein gegeben ist, doch niemals bekannt      
  04 werden.      
           
  05 Daß daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene Vorstellung      
  06 der Dinge sei, welche lediglich das enthält, was ihnen an sich      
  07 selbst zukommt, aber nur unter einer Zusammenhäufung von Merkmalen      
  08 und Theilvorstellungen, die wir nicht mit Bewußtsein auseinander setzen,      
  09 ist eine Verfälschung des Begriffs von Sinnlichkeit und von Erscheinung,      
  10 welche die ganze Lehre derselben unnütz und leer macht. Der Unterschied      
  11 einer undeutlichen von der deutlichen Vorstellung ist bloß logisch und betrifft      
  12 nicht den Inhalt. Ohne Zweifel enthält der Begriff von Recht,      
  13 dessen sich der gesunde Verstand bedient, eben dasselbe, was die subtilste      
  14 Speculation aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen      
  15 Gebrauche man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesem      
  16 Gedanken nicht bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß der gemeine      
  17 Begriff sinnlich sei und eine bloße Erscheinung enthalte, denn das      
  18 Recht kann gar nicht erscheinen, sondern sein Begriff liegt im Verstande      
  19 und stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der Handlungen vor, die      
  20 ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die Vorstellung eines      
  21 Körpers in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstande an sich      
  22 selbst zukommen könnte, sondern bloß die Erscheinung von etwas und die      
  23 Art, wie wir dadurch afficirt werden, und diese Receptivität unserer Erkenntnißfähigkeit      
  24 heißt Sinnlichkeit und bleibt von der Erkenntniß des      
  25 Gegenstandes an sich selbst, ob man jene (die Erscheinung) gleich bis auf      
  26 den Grund durchschauen möchte, dennoch himmelweit unterschieden.      
           
  27 Die Leibniz=Wolffische Philosophie hat daher allen Untersuchungen      
  28 über die Natur und den Ursprung unserer Erkenntnisse einen ganz unrechten      
  29 Gesichtspunkt angewiesen, indem sie den Unterschied der Sinnlichkeit      
  30 vom Intellectuellen bloß als logisch betrachtete, da er offenbar transscendental      
  31 ist und nicht bloß die Form der Deutlichkeit der Undeutlichkeit,      
  32 sondern den Ursprung und den Inhalt derselben betrifft, so daß wir durch      
  33 die erstere die Beschaffenheit der Dinge an sich selbst nicht bloß undeutlich,      
  34 sondern gar nicht erkennen, und, so bald wir unsre subjective Beschaffenheit      
  35 wegnehmen, das vorgestellte Object mit den Eigenschaften, die ihm      
  36 die sinnliche Anschauung beilegte, überall nirgend anzutreffen ist, noch      
           
     

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