Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 085

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 müssen. Ein solcher Zusammenhang aber giebt eine Regel an die      
  02 Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen      
  03 insgesammt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann, welches      
  04 alles sonst vom Belieben oder vom Zufall abhängen würde.      
           
  05
Des
     
  06
Transscendentalen Leitfadens der Entdeckung aller
     
  07
reinen Verstandesbegriffe
     
           
  08
Erster Abschnitt.
     
  09
Von dem logischen Verstandesgebrauche überhaupt.
     
           
  10 Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches      
  11 Erkenntnißvermögen. Nun können wir unabhängig von der Sinnlichkeit      
  12 keiner Anschauung theilhaftig werden. Also ist der Verstand kein      
  13 Vermögen der Anschauung. Es giebt aber außer der Anschauung keine      
  14 andere Art zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkenntniß eines      
  15 jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes eine Erkenntniß durch Begriffe,      
  16 nicht intuitiv, sondern discursiv. Alle Anschauungen als sinnlich      
  17 beruhen auf Affectionen, die Begriffe also auf Functionen. Ich verstehe      
  18 aber unter Function die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen      
  19 unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf      
  20 der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Receptivität      
  21 der Eindrücke. Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen      
  22 andern Gebrauch machen, als daß er dadurch urtheilt. Da keine Vorstellung      
  23 unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung,      
  24 so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern      
  25 auf irgend eine andre Vorstellung von demselben (sie sei Anschauung oder      
  26 selbst schon Begriff) bezogen. Das Urtheil ist also die mittelbare Erkenntniß      
  27 eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben.      
  28 In jedem Urtheil ist ein Begriff, der für viele gilt und unter      
  29 diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere denn      
  30 auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in      
  31 dem Urtheile: alle Körper sind theilbar, der Begriff des Theilbaren      
           
     

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