Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 260

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Zuletzt wird man auch gewahr: daß unter den transscendentalen      
  02 Ideen selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und      
  03 daß die reine Vernunft vermittelst ihrer alle ihre Erkenntnisse in ein      
  04 System bringe. Von der Erkenntniß seiner selbst (der Seele) zur Welterkenntniß      
  05 und vermittelst dieser zum Urwesen fortzugehen, ist ein so natürlicher      
  06 Fortschritt, daß er dem logischen Fortgange der Vernunft von      
  07 den Prämissen zum Schlußsatze ähnlich scheint*). Ob nun hier wirklich eine      
  08 Verwandtschaft von der Art, als zwischen dem logischen und transscendentalen      
  09 Verfahren, ingeheim zum Grunde liege, ist auch eine von den Fragen,      
  10 deren Beantwortung man in dem Verfolg dieser Untersuchungen      
  11 allererst erwarten muß. Wir haben vorläufig unsern Zweck schon erreicht,      
  12 da wir die transscendentalen Begriffe der Vernunft, die sich sonst gewöhnlich      
  13 in der Theorie der Philosophen unter andere mischen, ohne daß diese      
  14 sie einmal von Verstandesbegriffen gehörig unterscheiden, aus dieser zweideutigen      
  15 Lage haben herausziehen, ihren Ursprung und dadurch zugleich      
  16 ihre bestimmte Zahl, über die es gar keine mehr geben kann, angeben und      
  17 sie in einem systematischen Zusammenhange haben vorstellen können, wodurch      
  18 ein besonderes Feld für die reine Vernunft abgesteckt und eingeschränkt      
  19 wird.      
           
           
    *) Die Metaphysik hat zum eigentlichen Zwecke ihrer Nachforschung nur drei Ideen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, so daß der zweite Begriff, mit dem ersten verbunden, auf den dritten als einen nothwendigen Schlußsatz führen soll. Alles, womit sich diese Wissenschaft sonst beschäftigt, dient ihr bloß zum Mittel, um zu diesen Ideen und ihrer Realität zu gelangen. Sie bedarf sie nicht zum Behuf der Naturwissenschaft, sondern um über die Natur hinaus zu kommen. Die Einsicht in dieselben würde Theologie, Moral und durch beider Verbindung Religion, mithin die höchsten Zwecke unseres Daseins bloß vom speculativen Vernunftvermögen und sonst von nichts anderem abhängig machen. In einer systematischen Vorstellung jener Ideen würde die angeführte Ordnung, als die synthetische, die schicklichste sein; aber in der Bearbeitung, die vor ihr nothwendig vorhergehen muß, wird die analytische, welche diese Ordnung umkehrt, dem Zwecke angemessener sein, um, indem wir von demjenigen, was uns Erfahrung unmittelbar an die Hand giebt, der Seelenlehre, zur Weltlehre und von da bis zur Erkenntniß Gottes fortgehen, unseren großen Entwurf zu vollziehen.      
           
     

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