Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 296

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 die successive Synthesis der Theile einer unendlichen Welt als vollendet      
  02 angesehen, d. i. eine unendliche Zeit müßte in der Durchuählung aller      
  03 coexistirenden Dinge als abgelaufen angesehen werden; welches unmöglich      
  04 ist. Demnach kann ein unendliches Aggregat wirklicher Dinge nicht als      
  05 ein gegebenes Ganzes, mithin auch nicht als zugleich gegeben angesehen      
  06 werden. Eine Welt ist folglich der Ausdehnung im Raume nach nicht unendlich,      
  07 sondern in ihren Grenzen eingeschlossen; welches das zweite war.      
           
  08
Anmerkung zur ersten Antinomie.
     
           
  09
I zur Thesis.
     
           
  10 Ich habe bei diesen einander widerstreitenden Argumenten nicht      
  11 Blendwerke gesucht, um etwa (wie man sagt) einen Advocatenbeweis zu      
  12 führen, welcher sich der Unbehutsamkeit des Gegners zu seinem Vortheile      
  13 bedient und seine Berufung auf ein mißverstandnes Gesetz gerne gelten      
  14 läßt, um seine eigene, unrechtmäßige Ansprüche auf die Widerlegung desselben      
  15 zu bauen. Jeder dieser Beweise ist aus der Sache Natur gezogen und      
  16 der Vortheil bei Seite gesetzt worden, den uns die Fehlschlüsse der Dogmatiker      
  17 von beiden Theilen geben könnten.      
           
  18 Ich hätte die Thesis auch dadurch dem Scheine nach beweisen können,      
  19 daß ich von der Unendlichkeit einer gegebenen Größe nach der Gewohnheit      
  20 der Dogmatiker einen fehlerhaften Begriff vorangeschickt hätte. Unendlich      
  21 ist eine Größe, über die keine größere (d. i. über die darin enthaltene      
  22 Menge einer gegebenen Einheit) möglich ist. Nun ist keine Menge die      
  23 größte, weil noch immer eine oder mehrere Einheiten hinzugethan werden      
  24 können. Also ist eine unendliche gegebene Größe, mithin auch eine (der      
  25 verflossenen Reihe sowohl, als der Ausdehnung nach) unendliche Welt unmöglich:      
           
     

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