Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 419

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 über, und da dieser nur ein versteckter ontologischer Beweis ist, so      
  02 vollführte er seine Absicht wirklich bloß durch reine Vernunft, ob er gleich      
  03 anfänglich alle Verwandtschaft mit dieser abgeleugnet und alles auf einleuchtende      
  04 Beweise aus Erfahrung ausgesetzt hatte.      
           
  05 Die Physikotheologen haben also gar nicht Ursache, gegen die transscendentale      
  06 Beweisart so spröde zu thun und auf sie mit dem Eigendünkel      
  07 hellsehender Naturkenner als auf das Spinnengewebe finsterer Grübler      
  08 herabzusehen. Denn wenn sie sich nur selbst prüfen wollten, so würden      
  09 sie finden, daß, nachdem sie eine gute Strecke auf dem Boden der Natur      
  10 und Erfahrung fortgegangen sind und sich gleichwohl immer noch eben so      
  11 weit von dem Gegenstande sehen, der ihrer Vernunft entgegen scheint, sie      
  12 plötzlich diesen Boden verlassen und ins Reich bloßer Möglichkeiten übergehen,      
  13 wo sie auf den Flügeln der Ideen demjenigen nahe zu kommen      
  14 hoffen, was sich aller ihrer empirischen Nachsuchung entzogen hatte. Nachdem      
  15 sie endlich durch einen so mächtigen Sprung festen Fuß gefaßt zu      
  16 haben vermeinen, so verbreiten sie den nunmehr bestimmten Begriff (in      
  17 dessen Besitz sie, ohne zu wissen wie, gekommen sind) über das ganze Feld      
  18 der Schöpfung und erläutern das Ideal, welches lediglich ein Product der      
  19 reinen Vernunft war, obzwar kümmerlich genug und weit unter der Würde      
  20 seines Gegenstandes, durch Erfahrung, ohne doch gestehen zu wollen, daß      
  21 sie zu dieser Kenntniß oder Voraussetzung durch einen andern Fußsteig      
  22 als den der Erfahrung gelangt sind.      
           
  23 So liegt demnach dem physikotheologischen Beweise der kosmologische,      
  24 diesem aber der ontologische Beweis vom Dasein eines einigen Urwesens      
  25 als höchsten Wesens zum Grunde, und da außer diesen drei Wegen keiner      
  26 mehr der speculativen Vernunft offen ist, so ist der ontologische Beweis      
  27 aus lauter reinen Vernunftbegriffen der einzige mögliche, wenn überall      
  28 nur ein Beweis von einem so weit über allen empirischen Verstandesgebrauch      
  29 erhabenen Satze möglich ist.      
           
           
     

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