Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 425

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 von uns selbst ausgedachten Begriffe seine objective Realität zu versichern.      
  02 Wie der Verstand auch zu diesem Begriffe gelangt sein mag, so kann doch      
  03 das Dasein des Gegenstandes desselben nicht analytisch in demselben gefunden      
  04 werden, weil eben darin die Erkenntniß der Existenz des Objects      
  05 besteht, daß dieses außer dem Gedanken an sich selbst gesetzt ist. Es ist      
  06 aber gänzlich unmöglich, aus einem Begriffe von selbst hinaus zu gehen      
  07 und, ohne daß man der empirischen Verknüpfung folgt (wodurch aber jederzeit      
  08 nur Erscheinungen gegeben werden), zu Entdeckung neuer Gegenstände      
  09 und überschwenglicher Wesen zu gelangen.      
           
  10 Ob aber gleich die Vernunft in ihrem bloß speculativen Gebrauche      
  11 zu dieser so großen Absicht bei weitem nicht zulänglich ist, nämlich zum      
  12 Dasein eines obersten Wesens zu gelangen: so hat sie doch darin sehr      
  13 großen Nutzen, die Erkenntniß desselben, im Fall sie anders woher geschöpft      
  14 werden könnte, zu berichtigen, mit sich selbst und jeder intelligibelen      
  15 Absicht einstimmig zu machen und von allem, was dem Begriffe eines      
  16 Urwesens zuwider sein möchte, und aller Beimischung empirischer Einschränkungen      
  17 zu reinigen.      
           
  18 Die transscendentale Theologie bleibt demnach aller ihrer Unzulänglichkeit      
  19 ungeachtet dennoch von wichtigem negativen Gebrauche und ist eine      
  20 beständige Censur unserer Vernunft, wenn sie bloß mit reinen Ideen zu      
  21 thun hat, die eben darum kein anderes als transscendentales Richtmaß      
  22 zulassen. Denn wenn einmal in anderweitiger, vielleicht praktischer Beziehung      
  23 die Voraussetzung eines höchsten und allgenugsamen Wesens      
  24 als oberster Intelligenz ihre Gültigkeit ohne Widerrede behauptete: so      
  25 wäre es von der größten Wichtigkeit, diesen Begriff auf seiner transscendentalen      
  26 Seite als den Begriff eines nothwendigen und allerrealsten Wesens      
  27 genau zu bestimmen und, was der höchsten Realität zuwider ist, was      
  28 zur bloßen Erscheinung (dem Anthropomorphism im weiteren Verstande)      
  29 gehört, wegzuschaffen und zugleich alle entgegengesetzte Behauptungen, sie      
  30 mögen nun atheistisch oder deistisch oder anthropomorphistisch      
  31 sein, aus dem Wege zu räumen; welches in einer solchen kritischen Behandlung      
  32 sehr leicht ist, indem dieselben Gründe, durch welche das Unvermögen      
  33 der menschlichen Vernunft in Ansehung der Behauptung des      
  34 Daseins eines dergleichen Wesens vor Augen gelegt wird, nothwendig auch      
  35 zureichen, um die Untauglichkeit einer jeden Gegenbehauptung zu beweisen.      
  36 Denn wo will jemand durch reine Speculation der Vernunft die      
  37 Einsicht hernehmen, daß es kein höchstes Wesen als Urgrund von Allem      
           
     

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