Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 483

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Gebrauche nicht ein einziges direct synthetisches Urtheil aus Begriffen.      
  02 Denn durch Ideen ist sie, wie wir gezeigt haben, gar keiner synthetischer      
  03 Urtheile, die objective Gültigkeit hätten, fähig; durch Verstandesbegriffe      
  04 aber errichtet sie zwar sichere Grundsätze, aber gar nicht direct aus Begriffen,      
  05 sondern immer nur indirect durch Beziehung dieser Begriffe auf      
  06 etwas ganz Zufälliges, nämlich mögliche Erfahrung; da sie denn,      
  07 wenn diese (etwas als Gegenstand möglicher Erfahrungen) vorausgesetzt      
  08 wird, allerdings apodiktisch gewiß sind, an sich selbst aber (direct) a priori      
  09 gar nicht einmal erkannt werden können. So kann niemand den Satz:      
  10 alles, was geschieht, hat seine Ursache, aus diesen gegebenen Begriffen      
  11 allein gründlich einsehen. Daher ist er kein Dogma, ob er gleich in einem      
  12 anderen Gesichtspunkte, nämlich dem einzigen Felde seines möglichen Gebrauchs,      
  13 d. i. der Erfahrung, ganz wohl und apodiktisch bewiesen werden      
  14 kann. Er heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen      
  15 werden muß, darum weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen      
  16 Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht und bei      
  17 dieser immer vorausgesetzt werden muß.      
           
  18 Giebt es nun im speculativen Gebrauche der reinen Vernunft auch dem      
  19 Inhalte nach gar keine Dogmate, so ist alle dogmatische Methode, sie      
  20 mag nun dem Mathematiker abgeborgt sein, oder eine eigenthümliche      
  21 Manier werden sollen, für sich unschicklich. Denn sie verbirgt nur die      
  22 Fehler und Irrthümer und täuscht die Philosophie, deren eigentliche Absicht      
  23 ist, alle Schritte der Vernunft in ihrem klärsten Lichte sehen zu lassen.      
  24 Gleichwohl kann die Methode immer systematisch sein. Denn unsere      
  25 Vernunft (subjectiv) ist selbst ein System, aber in ihrem reinen Gebrauche,      
  26 vermittelst bloßer Begriffe, nur ein System der Nachforschung nach Grundsätzen      
  27 der Einheit, zu welcher Erfahrung allein den Stoff hergeben kann.      
  28 Von der eigenthümlichen Methode einer Transscendentalphilosophie läßt      
  29 sich aber hier nichts sagen, da wir es nur mit einer Kritik unserer Vermögensumstände      
  30 zu thun haben, ob wir überall bauen, und wie hoch wir      
  31 wohl unser Gebäude aus dem Stoffe, den wir haben (den reinen Begriffen      
  32 a priori), aufführen können.      
           
           
     

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