Kant: AA III, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 519

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ermüdende, mit unaufhörlichen Hindernissen ringende Arbeit transscendentaler      
  02 Nachforschung übernommen werden, weil man von allen Entdeckungen,      
  03 die hierüber zu machen sein möchten, doch keinen Gebrauch machen      
  04 kann, der in concreto , d. i. in der Naturforschung, seinen Nutzen bewiese.      
  05 Der Wille mag auch frei sein, so kann dieses doch nur die intelligibele      
  06 Ursache unseres Wollens angehen. Denn was die Phänomene der Äußerungen      
  07 desselben, d. i. die Handlungen, betrifft, so müssen wir nach einer      
  08 unverletzlichen Grundmaxime, ohne welche wir keine Vernunft in empirischem      
  09 Gebrauche ausüben können, sie niemals anders als alle übrige Erscheinungen      
  10 der Natur, nämlich nach unwandelbaren Gesetzen derselben,      
  11 erklären. Es mag zweitens auch die geistige Natur der Seele (und mit      
  12 derselben ihre Unsterblichkeit) eingesehen werden können, so kann darauf      
  13 doch weder in Ansehung der Erscheinungen dieses Lebens als einen Erklärungsgrund,      
  14 noch auf die besondere Beschaffenheit des künftigen Zustandes      
  15 Rechnung gemacht werden, weil unser Begriff einer unkörperlichen      
  16 Natur bloß negativ ist und unsere Erkenntniß nicht im mindesten erweitert,      
  17 noch einigen tauglichen Stoff zu Folgerungen darbietet, als etwa zu      
  18 solchen, die nur für Erdichtungen gelten können, die aber von der Philosophie      
  19 nicht gestattet werden. Wenn auch drittens das Dasein einer höchsten      
  20 Intelligenz bewiesen wäre: so würden wir uns zwar daraus das      
  21 Zweckmäßige in der Welteinrichtung und Ordnung im Allgemeinen begreiflich      
  22 machen, keinesweges aber befugt sein, irgend eine besondere Anstalt      
  23 und Ordnung daraus abzuleiten, oder, wo sie nicht wahrgenommen      
  24 wird, darauf kühnlich zu schließen; indem es eine nothwendige Regel des      
  25 speculativen Gebrauchs der Vernunft ist, Naturursachen nicht vorbeizugehen      
  26 und das, wovon wir uns durch Erfahrung belehren können, aufzugeben,      
  27 um etwas, was wir kennen, von demjenigen abzuleiten, was alle      
  28 unsere Kenntniß gänzlich übersteigt. Mit einem Worte, diese drei Sätze      
  29 bleiben für die speculative Vernunft jederzeit transscendent und haben      
  30 gar keinen immanenten, d. i. für Gegenstände der Erfahrung zulässigen,      
  31 mithin für uns auf einige Art nützlichen Gebrauch, sondern sind, an sich      
  32 betrachtet, ganz müßige und dabei noch äußerst schwere Anstrengungen      
  33 unserer Vernunft.      
           
  34 Wenn demnach diese drei Cardinalsätze uns zum Wissen gar nicht      
  35 nöthig sind und uns gleichwohl durch unsere Vernunft dringend empfohlen      
  36 werden: so wird ihre Wichtigkeit wohl eigentlich nur das Praktische angehen      
  37 müssen.      
           
     

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