Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 020

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 es selbst zu merken, unter dieser Vorspiegelung Behauptungen von ganz      
  02 anderer Art, wo die Vernunft zu gegebenen Begriffen a priori ganz fremde      
  03 hinzu thut, ohne daß man weiß, wie sie dazu gelange, und ohne sich diese      
  04 Frage auch nur in die Gedanken kommen zu lassen. Ich will daher gleich      
  05 anfangs von dem Unterschiede dieser zwiefachen Erkenntnißart handeln.      
           
  06
Von dem Unterschiede analytischer und synthetischer Urtheile.
     
           
  07 In allen Urtheilen, worin das Verhältniß eines Subjects zum Prädicat      
  08 gedacht wird (wenn ich nur die bejahende erwäge: denn auf die      
  09 verneinende ist die Anwendung leicht), ist dieses Verhältniß auf zweierlei      
  10 Art möglich. Entweder das Prädicat B gehört zum Subject A als etwas,      
  11 was in diesem Begriffe A (versteckter Weise) enthalten ist; oder B liegt      
  12 ganz außer dem Begriff A, ob es zwar mit demselben in Verknüpfung      
  13 steht. Im ersten Fall nenne ich das Urtheil analytisch, im andern synthetisch.      
  14 Analytische Urtheile (die bejahende) sind also diejenige, in welchen      
  15 die Verknüpfung des Prädicats mit dem Subject durch Identität, diejenige      
  16 aber, in denen diese Verknüpfung ohne Identität gedacht wird,      
  17 sollen synthetische Urtheile heißen. Die erstere könnte man auch Erläuterungs=,      
  18 die andere Erweiterungs=Urtheile heißen, weil jene durch das      
  19 Prädicat nichts zum Begriff des Subjects hinzuthun, sondern diesen nur      
  20 durch Zergliederung in seine Theilbegriffe zerfällen, die in selbigem schon      
  21 (obschon verworren) gedacht waren: dahingegen die letztere zu dem Begriffe      
  22 des Subjects ein Prädicat hinzuthun, welches in jenem gar nicht      
  23 gedacht war und durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen      
  24 werden. Z. B. wenn ich sage: alle Körper sind ausgedehnt, so ist      
  25 dies ein analytisch Urtheil. Denn ich darf nicht aus dem Begriffe, den      
  26 ich mit dem Wort Körper verbinde, hinausgehen, um die Ausdehnung      
  27 als mit demselben verknüpft zu finden, sondern jenen Begriff nur zergliedern,      
  28 d. i. des Mannigfaltigen, welches ich jederzeit in ihm denke, nur bewußt      
  29 werden, um dieses Prädicat darin anzutreffen; es ist also ein analytisches      
  30 Urtheil. Dagegen wenn ich sage: alle Körper sind schwer, so ist      
  31 das Prädicat etwas ganz anders als das, was ich in dem bloßen Begriff      
  32 eines Körpers überhaupt denke. Die Hinzufügung eines solchen Prädicats      
  33 giebt also ein synthetisch Urtheil.      
           
  34 Nun ist hieraus klar: 1) daß durch analytische Urtheile unsere Erkenntniß      
  35 gar nicht erweitert werde, sondern der Begriff, den ich schon habe,      
           
     

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