Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 213

     
           
 

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  01 konnten wir unternehmen, und die ist im gegenwärtigen Hauptstücke      
  02 auch geleistet worden.      
           
  03 Man sieht leicht, daß die reine Vernunft nichts anders zur Absicht      
  04 habe, als die absolute Totalität der Synthesis auf der Seite der Bedingungen      
  05 (es sei der Inhärenz, oder der Dependenz, oder der Concurrenz)      
  06 und daß sie mit der absoluten Vollständigkeit von Seiten des      
  07 Bedingten nichts zu schaffen habe. Denn nur allein jener bedarf sie,      
  08 um die ganze Reihe der Bedingungen vorauszusetzen und sie dadurch dem      
  09 Verstande a priori zu geben. Ist aber eine vollständig (und unbedingt)      
  10 gegebene Bedingung einmal da, so bedarf es nicht mehr eines Vernunftbegriffs      
  11 in Ansehung der Fortsetzung der Reihe; denn der Verstand thut      
  12 jeden Schritt abwärts von der Bedingung zum Bedingten von selber.      
  13 Auf solche Weise dienen die transscendentale Ideen nur zum Aufsteigen      
  14 in der Reihe der Bedingungen bis zum Unbedingten, d. i. zu den Principien.      
  15 In Ansehung des Hinabgehens zum Bedingten aber giebt es      
  16 zwar einen weit erstreckten logischen Gebrauch, den unsere Vernunft von      
  17 den Verstandesgesetzen macht, aber gar keinen transscendentalen; und      
  18 wenn wir uns von der absoluten Totalität einer solchen Synthesis (des      
  19 progressus ) eine Idee machen, z. B. von der ganzen Reihe aller künftigen      
  20 Weltveränderungen, so ist dieses ein Gedankending ( ens rationis ),      
  21 welches nur willkürlich gedacht und nicht durch die Vernunft nothwendig      
  22 vorausgesetzt wird. Denn zur Möglichkeit des Bedingten wird zwar die      
  23 Totalität seiner Bedingungen, aber nicht seiner Folgen vorausgesetzt.      
  24 Folglich ist ein solcher Begriff keine transscendentale Idee, mit der wir es      
  25 doch hier lediglich zu thun haben.      
           
  26 Zuletzt wird man auch gewahr, daß unter den transscendentalen      
  27 Ideen selbst ein gewisser Zusammenhang und Einheit hervorleuchte, und      
  28 daß die reine Vernunft vermittelst ihrer alle ihre Erkenntnisse in ein      
  29 System bringe. Von der Erkenntniß seiner selbst (der Seele) zur Welterkenntniß      
  30 und vermittelst dieser zum Urwesen fortzugehen, ist ein so natürlicher      
  31 Fortschritt, daß er dem logischen Fortgange der Vernunft von      
  32 den Prämissen zum Schlußsatze ähnlich scheint. Ob nun hier wirklich eine      
  33 Verwandtschaft von der Art, als zwischen dem logischen und transscendentalen      
  34 Verfahren in geheim zum Grunde liege, ist auch eine von den Fragen,      
  35 deren Beantwortung man in dem Verfolg dieser Untersuchungen      
  36 allererst erwarten muß. Wir haben vorläufig unsern Zweck schon erreicht,      
  37 da wir die transscendentale Begriffe der Vernunft, die sich sonst gewöhnlich      
           
     

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