Kant: AA IV, Kritik der reinen Vernunft ... , Seite 220

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 transscendentalen Gebrauch des Verstandes enthalten können, welcher alle      
  02 Beimischung der Erfahrung ausschlägt, und von dessen Fortgang wir      
  03 nach dem, was wir oben gezeigt haben, uns schon zum voraus keinen vortheilhaften      
  04 Begriff machen können. Wir wollen ihn also durch alle Prädicamente      
  05 der reinen Seelenlehre mit einem kritischen Auge verfolgen.      
           
  06
Erster Paralogism, der Substantialität.
     
           
  07 Dasjenige, dessen Vorstellung das absolute Subject unserer Urtheile      
  08 ist und daher nicht als Bestimmung eines andern Dinges gebraucht      
  09 werden kann, ist Substanz.      
  10 Ich, als ein denkend Wesen, bin das absolute Subject aller meiner      
  11 möglichen Urtheile, und diese Vorstellung von mir selbst kann nicht zum      
  12 Prädicat irgend eines andern Dinges gebraucht werden.      
  13 Also bin ich, als denkend Wesen (Seele), Substanz.      
           
  14
Kritik des ersten Paralogism der reinen Psychologie.
     
           
  15 Wir haben in dem analytischen Theile der transscendentalen Logik      
  16 gezeigt: daß reine Kategorien (und unter diesen auch die der Substanz)      
  17 an sich selbst gar keine objective Bedeutung haben, wo ihnen nicht eine Anschauung      
  18 unterlegt ist, auf deren Mannigfaltiges sie als Functionen der      
  19 synthetischen Einheit angewandt werden können. Ohne das sind sie lediglich      
  20 Functionen eines Urtheils ohne Inhalt. Von jedem Dinge überhaupt      
  21 kann ich sagen, es sei Substanz, so fern ich es von bloßen Prädicaten und      
  22 Bestimmungen der Dinge unterscheide. Nun ist in allem unserem Denken      
  23 das Ich das Subject, dem Gedanken nur als Bestimmungen inhäriren,      
  24 und dieses Ich kann nicht als die Bestimmung eines anderen Dinges gebraucht      
  25 werden. Also muß jedermann sich selbst nothwendiger Weise als      
  26 die Substanz, das Denken aber nur als Accidenzen seines Daseins und      
  27 Bestimmungen seines Zustandes ansehen.      
           
  28 Was soll ich aber nun von diesem Begriffe einer Substanz für einen      
  29 Gebrauch machen? Daß ich als ein denkend Wesen für mich selbst fortdaure,      
  30 natürlicher Weise weder entstehe noch vergehe, das kann ich      
  31 daraus keinesweges schließen, und dazu allein kann mir doch der Begriff      
  32 der Substantialität meines denkenden Subjects nutzen, ohne welches ich      
  33 ihn gar wohl entbehren könnte.      
           
     

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