Kant: AA IV, Prolegomena zu einer jeden ... , Seite 292

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 (denn was sollte mich da hindern, sie auch von eben denselben Dingen,      
  02 meine Sinnen möchten nun auch anders eingerichtet sein und für sie passen      
  03 oder nicht, dennoch gelten zu lassen?), alsdann kann ein wichtiger Irrthum      
  04 entspringen, der auf einem Scheine beruht, da ich das, was eine blos      
  05 meinem Subject anhängende Bedingung der Anschauung der Dinge war      
  06 und sicher für alle Gegenstände der Sinne, mithin alle nur mögliche Erfahrung      
  07 galt, für allgemein gültig ausgab, weil ich sie auf die Dinge an      
  08 sich selbst bezog und nicht auf Bedingungen der Erfahrung einschränkte.      
           
  09 Also ist es so weit gefehlt, daß meine Lehre von der Idealität des      
  10 Raumes und der Zeit die ganze Sinnenwelt zum bloßen Scheine mache,      
  11 daß sie vielmehr das einzige Mittel ist, die Anwendung einer der allerwichtigsten      
  12 Erkenntnisse, nämlich derjenigen, welche Mathematik a priori      
  13 vorträgt, auf wirkliche Gegenstände zu sicheren und zu verhüten, daß sie      
  14 nicht für bloßen Schein gehalten werde, weil ohne diese Bemerkung es      
  15 ganz unmöglich wäre auszumachen, ob nicht die Anschauungen von Raum      
  16 und Zeit, die wir von keiner Erfahrung entlehnen, und die dennoch in unserer      
  17 Vorstellung a priori liegen, bloße selbstgemachte Hirngespinste wären,      
  18 denen gar kein Gegenstand, wenigstens nicht adäquat, correspondirte, und      
  19 also Geometrie selbst ein bloßer Schein sei; dagegen ihre unstreitige Gültigkeit      
  20 in Ansehung aller Gegenstände der Sinnenwelt eben darum, weil      
  21 diese bloße Erscheinungen sind, von uns hat dargethan werden können.      
           
  22 Es ist zweitens so weit gefehlt, daß diese meine Principien darum,      
  23 weil sie aus den Vorstellungen der Sinne Erscheinungen machen, statt der      
  24 Wahrheit der Erfahrung sie in bloßen Schein verwandeln sollten, daß sie      
  25 vielmehr das einzige Mittel sind, den transscendentalen Schein zu verhüten,      
  26 wodurch Metaphysik von je her getäuscht und eben dadurch zu den      
  27 kindischen Bestrebungen verleitet worden, nach Seifenblasen zu haschen,      
  28 weil man Erscheinungen, die doch bloße Vorstellungen sind, für Sachen      
  29 an sich selbst nahm; woraus alle jene merkwürdige Auftritte der Antinomie      
  30 der Vernunft erfolgt sind, davon ich weiter hin Erwähnung thun werde,      
  31 und die durch jene einzige Bemerkung gehoben wird: daß Erscheinung, so      
  32 lange als sie in der Erfahrung gebraucht wird, Wahrheit, sobald sie aber      
  33 über die Grenze derselben hinausgeht und transscendent wird, nichts als      
  34 lauter Schein hervorbringt.      
           
  35 Da ich also den Sachen, die wir uns durch Sinne vorstellen, ihre Wirklichkeit      
  36 lasse und nur unsre sinnliche Anschauung von diesen Sachen dahin      
           
     

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