Kant: AA IV, Grundlegung zur Metaphysik der ... , Seite 413

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einem Worte, ist der Wille nicht an sich völlig der Vernunft gemäß (wie      
  02 es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objectiv als      
  03 nothwendig erkannt werden, subjectiv zufällig, und die Bestimmung eines      
  04 solchen Willens objectiven Gesetzen gemäß ist Nöthigung; d. i. das Verhältniß      
  05 der objectiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen wird      
  06 vorgestellt als die Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens      
  07 zwar durch Gründe der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur      
  08 nach nicht nothwendig folgsam ist.      
           
  09 Die Vorstellung eines objectiven Princips, sofern es für einen Willen      
  10 nöthigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebots      
  11 heißt Imperativ.      
           
  12 Alle Imperativen werden durch ein Sollen ausgedrückt und zeigen      
  13 dadurch das Verhältniß eines objectiven Gesetzes der Vernunft zu einem      
  14 Willen an, der seiner subjectiven Beschaffenheit nach dadurch nicht nothwendig      
  15 bestimmt wird (eine Nöthigung). Sie sagen, daß etwas zu thun      
  16 oder zu unterlassen gut sein würde, allein sie sagen es einem Willen, der      
  17 nicht immer darum etwas thut, weil ihm vorgestellt wird, daß es zu thun      
  18 gut sei. Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft,      
  19 mithin nicht aus subjectiven Ursachen, sondern objectiv, d. i. aus      
  20 Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den      
  21 Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen unterschieden als demjenigen,      
  22 was nur vermittelst der Empfindung aus bloß subjectiven Ursachen,      
  23 die nur für dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und nicht als      
  24 Princip der Vernunft, das für jedermann gilt, auf den Willen Einfluß      
  25 hat*).      
           
    *) Die Abhängigkeit des Begehrungsvermögens von Empfindungen heißt Neigung, und diese beweiset also jederzeit ein Bedürfniß. Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens aber von Principien der Vernunft heißt ein Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen, ohne darum aus Interesse zu handeln. Das erste bedeutet das praktische Interesse an der Handlung, das zweite das pathologische Interesse am Gegenstande der Handlung. Das erste zeigt nur Abhängigkeit des Willens von Principien der Vernunft an sich selbst, das zweite von den Principien derselben zum Behuf der Neigung an, da nämlich die Vernunft nur die praktische Regel angiebt, wie dem Bedürfnisse der Neigung abgeholfen werde. Im ersten Falle interessirt mich die Handlung, im zweiten der Gegenstand der Handlung (so fern er mir angenehm [Seitenumbruch] ist). Wir haben im ersten Abschnitte gesehen: daß bei einer Handlung aus Pflicht nicht auf das Interesse am Gegenstande, sondern bloß an der Handlung selbst und ihrem Princip in der Vernunft (dem Gesetz) gesehen werden müsse.      
           
     

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