Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 038

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Glückseligkeit Abbruch that (welches nach dem Princip der Selbstliebe der eigentliche      
  02 Begriff alles Verbrechens sein müßte). Die Strafe würde auf diese Art der      
  03 Grund sein, etwas ein Verbrechen zu nennen, und die Gerechtigkeit müßte vielmehr      
  04 darin bestehen, alle Bestrafung zu unterlassen und selbst die natürliche zu verhindern;      
  05 denn alsdann wäre in der Handlung nichts Böses mehr, weil die Übel, die      
  06 sonst darauf folgten, und um deren Willen die Handlung allein böse hieß, nunmehr      
  07 abgehalten wären. Vollends aber alles Strafen und belohnen nur als      
  08 das Maschinenwerk in der Hand einer höheren Macht anzusehen, welches vernünftige      
  09 Wesen dadurch zu ihrer Endabsicht (der Glückseligkeit) in Thätigkeit zu setzen      
  10 allein dienen sollte, ist gar zu sichtbar ein alle Freiheit aufhebender Mechanism      
  11 ihres Willens, als daß es nöthig wäre uns hiebei aufzuhalten.      
           
  12 Feiner noch, obgleich eben so unwahr, ist das Vorgeben derer, die einen gewissen      
  13 moralischen besondern Sinn annehmen, der, und nicht die Vernunft, das      
  14 moralische Gesetz bestimmte, nach welchem das Bewußtsein der Tugend unmittelbar      
  15 mit Zufriedenheit und Vergnügen, das des Lasters aber mit Seelenunruhe und      
  16 Schmerz verbunden wäre, und so alles doch auf Verlangen nach eigener Glückseligkeit      
  17 aussetzen. Ohne das hieher zu ziehen, was oben gesagt worden, will ich nur      
  18 die Täuschung bemerken, die hiebei vorgeht. Um den Lasterhaften als durch das      
  19 Bewußtsein seiner Vergehungen mit Gemüthsunruhe geplagt vorzustellen, müssen      
  20 sie ihn der vornehmsten Grundlage seines Charakters nach schon zum voraus als      
  21 wenigstens in einigem Grade moralisch gut, so wie den, welchen das Bewußtsein      
  22 pflichtmäßiger Handlungen ergötzt, vorher schon als tugendhaft vorstellen. Also      
  23 mußte doch der Begriff der Moralität und Pflicht vor aller Rücksicht auf diese Zufriedenheit      
  24 vorhergehen und kann von dieser gar nicht abgeleitet werden. Nun mu      
  25 man doch die Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen, das Ansehen des moralischen      
  26 Gesetzes und den unmittelbaren Werth, den die Befolgung desselben der      
  27 Person in ihren eigenen Augen giebt, vorher schätzen, um jene Zufriedenheit in dem      
  28 Bewußtsein seiner Angemessenheit zu derselben und den bitteren Verweis, wenn      
  29 man sich dessen Übertretung vorwerfen kann, zu fühlen. Man kann also diese Zufriedenheit      
  30 oder Seelenunruhe nicht vor der Erkenntniß der Verbindlichkeit fühlen      
  31 und sie zum Grunde der letzteren machen. Man muß wenigstens auf dem halben      
  32 Wege schon ein ehrlicher Mann sein, um sich von jenen Empfindungen auch nur      
  33 eine Vorstellung machen zu können. Daß übrigens, so wie vermöge der Freiheit      
  34 der menschliche Wille durchs moralische Gesetz unmittelbar bestimmbar ist, auch die      
  35 öftere Ausübung diesem Bestimmungsgrunde gemäß subjectiv zuletzt ein Gefühl      
  36 der Zufriedenheit mit sich selbst wirken könne, bin ich gar nicht in Abrede; vielmehr      
  37 gehört es selbst zur Pflicht, dieses, welches eigentlich allein das moralische Gefühl      
  38 genannt zu werden verdient, zu gründen und zu cultiviren; aber der Begriff der      
  39 Pflicht kann davon nicht abgeleitet werden, sonst müßten wir uns ein Gefühl eines      
  40 Gesetzes als eines solchen Denken und das zum Gegenstande der Empfindung      
           
     

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