Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 042

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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I

     
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Von der Deduction der Grundsätze der reinen

     
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praktischen Vernunft.

     
           
  04 Diese Analytik thut dar, daß reine Vernunft praktisch sein, d. i. für      
  05 sich, unabhängig von allem Empirischen, den Willen bestimmen könne      
  06 und dieses zwar durch ein Factum, worin sich reine Vernunft bei uns in      
  07 der That praktisch beweiset, nämlich die Autonomie in dem Grundsatze der      
  08 Sittlichkeit, wodurch sie den Willen zur That bestimmt. - Sie zeigt zugleich,      
  09 daß dieses Factum mit dem Bewußtsein der Freiheit des Willens      
  10 unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerlei sei, wodurch der Wille      
  11 eines vernünftigen Wesens, das, als zur Sinnenwelt gehörig, sich gleich      
  12 anderen wirksamen Ursachen nothwendig den Gesetzen der Causalität unterworfen      
  13 erkennt, im Praktischen doch zugleich sich auf einer andern Seite,      
  14 nämlich als Wesen an sich selbst, seines in einer intelligibelen Ordnung      
  15 der Dinge bestimmbaren Daseins bewußt ist, zwar nicht einer besondern      
  16 Anschauung seiner selbst, sondern gewissen dynamischen Gesetzen gemäß,      
  17 die die Causalität desselben in der Sinnenwelt bestimmen können; denn      
  18 daß Freiheit, wenn sie uns beigelegt wird, uns in eine intelligibele Ordnung      
  19 der Dinge versetze, ist anderwärts hinreichend bewiesen worden.      
           
  20 Wenn wir nun damit den analytischen Theil der Kritik der reinen      
  21 speculativen Vernunft vergleichen, so zeigt sich ein merkwürdiger Contrast      
  22 beider gegen einander. Nicht Grundsätze, sondern reine sinnliche Anschauung      
  23 (Raum und Zeit) war daselbst das erste Datum, welches Erkenntniß      
  24 a priori und zwar nur für Gegenstände der Sinne möglich      
  25 machte. - Synthetische Grundsätze aus bloßen Begriffen ohne Anschauung      
  26 waren unmöglich, vielmehr konnten diese nur in Beziehung auf jene,      
  27 welche sinnlich war, mithin auch nur auf Gegenstände möglicher Erfahrung      
  28 stattfinden, weil die Begriffe des Verstandes, mit dieser Anschauung verbunden,      
  29 allein dasjenige Erkenntniß möglich machen, welches wir Erfahrung      
  30 nennen. - Über die Erfahrungsgegenstände hinaus, also von Dingen      
  31 als Noumenen, wurde der speculativen Vernunft alles Positive einer      
  32 Erkenntniß mit völligem Rechte abgesprochen. - Doch leistete diese so      
  33 viel, daß sie den Begriff der Noumenen, d. i. die Möglichkeit, ja Nothwendigkeit      
  34 dergleichen zu denken, in Sicherheit setzte und z. B. die Freiheit,      
  35 negativ betrachtet, anzunehmen als ganz verträglich mit jenen Grundsätzen      
  36 und Einschränkungen der reinen theoretischen Vernunft wider alle      
           
     

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