Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 114

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Beobachtung der moralischen Gesetze erwartet werden kann. Da      
  02 nun die Beförderung des höchsten Guts, welches diese Verknüpfung in      
  03 seinem Begriffe enthält, ein a priori nothwendiges Object unseres Willens      
  04 ist und mit dem moralischen Gesetze unzertrennlich zusammenhängt, so      
  05 muß die Unmöglichkeit des ersteren auch die Falschheit des zweiten beweisen.      
  06 Ist also das höchste Gut nach praktischen Regeln unmöglich, so      
  07 muß auch das moralische Gesetz, welches gebietet dasselbe zu befördern,      
  08 phantastisch und auf leere eingebildete Zwecke gestellt, mithin an sich      
  09 falsch sein.      
           
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II

     
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Kritische Aufhebung der Antinomie der praktischen

     
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Vernunft.

     
           
  13 In der Antinomie der reinen speculativen Vernunft findet sich ein      
  14 ähnlicher Widerstreit zwischen Naturnothwendigkeit und Freiheit in der      
  15 Causalität der Begebenheiten in der Welt. Er wurde dadurch gehoben,      
  16 daß bewiesen wurde, es sei kein wahrer Widerstreit, wenn man die Begebenheiten      
  17 und selbst die Welt, darin sie sich ereignen, (wie man auch      
  18 soll) nur als Erscheinungen betrachtet; da ein und dasselbe handelnde      
  19 Wesen als Erscheinung (selbst vor seinem eignen innern Sinne) eine      
  20 Causalität in der Sinnenwelt hat, die jederzeit dem Naturmechanism      
  21 gemäß ist, in Ansehung derselben Begebenheit aber, so fern sich die handelnde      
  22 Person zugleich als Noumenon betrachtet (als reine Intelligenz,      
  23 in seinem nicht der Zeit nach bestimmbaren Dasein), einen Bestimmungsgrund      
  24 jener Causalität nach Naturgesetzen, der selbst von allem Naturgesetze      
  25 frei ist, enthalten könne.      
           
  26 Mit der vorliegenden Antinomie der reinen praktischen Vernunft ist      
  27 es nun eben so bewandt. Der erste von den zwei Sätzen, daß das Bestreben      
  28 nach Glückseligkeit einen Grund tugendhafter Gesinnung hervorbringe,      
  29 ist schlechterdings falsch; der zweite aber, daß Tugendgesinnung      
  30 nothwendig Glückseligkeit hervorbringe, ist nicht schlechterdings,      
  31 sondern nur so fern sie als die Form der Causalität in der Sinnenwelt      
  32 betrachtet wird, und mithin, wenn ich das Dasein in derselben für die einzige      
  33 Art der Existenz des vernünftigen Wesens annehme, also nur bedingter      
  34 Weise falsch. Da ich aber nicht allein befugt bin, mein Dasein      
  35 auch als Noumenon in einer Verstandeswelt zu denken, sondern sogar      
           
     

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