Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 145

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Freiheit denken sollen, hat etwas an sich, in Ansehung dessen uns eine      
  02 Wahl zukommt, weil theoretische Vernunft hierüber nichts mit apodiktischer      
  03 Gewißheit entscheidet, und in Ansehung dieser kann es ein moralisches      
  04 Interesse geben, das den Ausschlag giebt.      
           
  05 Oben hatte ich gesagt, daß nach einem bloßen Naturgange in der      
  06 Welt die genau dem sittlichen Werthe angemessene Glückseligkeit nicht zu      
  07 erwarten und für unmöglich zu halten sei, und daß also die Möglichkeit      
  08 des höchsten Guts von dieser Seite nur unter Voraussetzung eines      
  09 moralischen Welturhebers könne eingeräumt werden. Ich hielt mit Vorbedacht      
  10 mit der Einschränkung dieses Urtheils auf die subjectiven Bedingungen      
  11 unserer Vernunft zurück, um nur dann allererst, wenn die Art      
  12 ihres Fürwahrhaltens näher bestimmt werden sollte, davon Gebrauch zu      
  13 machen. In der That ist die genannte Unmöglichkeit blos subjectiv,      
  14 d. i. unsere Vernunft findet es ihr unmöglich, sich einen so genau angemessenen      
  15 und durchgängig zweckmäßigen Zusammenhang zwischen zwei      
  16 nach so verschiedenen Gesetzen sich eräugnenden Weltbegebenheiten nach      
  17 einem bloßen Naturlaufe begreiflich zu machen, ob sie zwar wie bei allem,      
  18 was sonst in der Natur zweckmäßiges ist, die Unmöglichkeit desselben nach      
  19 allgemeinen Naturgesetzen doch auch nicht beweisen, d. i. aus objectiven      
  20 Gründen hinreichend darthun kann.      
           
  21 Allein jetzt kommt ein Entscheidungsgrund von anderer Art ins Spiel,      
  22 um im Schwanken der speculativen Vernunft den Ausschlag zu geben.      
  23 Das Gebot, das höchste Gut zu befördern, ist objectiv (in der praktischen      
  24 Vernunft), die Möglichkeit desselben überhaupt gleichfalls objectiv (in der      
  25 theoretischen Vernunft, die nichts dawider hat) gegründet. Allein die Art,      
  26 wie wir uns diese Möglichkeit vorstellen sollen, ob nach allgemeinen Naturgesetzen      
  27 ohne einen der Natur vorstehenden weisen Urheber, oder nur unter      
  28 dessen Voraussetzung, das kann die Vernunft objectiv nicht entscheiden.      
  29 Hier tritt nun eine subjective Bedingung der Vernunft ein: die einzige      
  30 ihr theoretisch mögliche, zugleich der Moralität (die unter einem objectiven      
  31 Gesetze der Vernunft steht) allein zuträgliche Art, sich die genaue Zusammenstimmung      
  32 des Reichs der Natur mit dem Reiche der Sitten als      
  33 Bedingung der Möglichkeit des höchsten Guts zu denken. Da nun die      
  34 Beförderung desselben und also die Voraussetzung seiner Möglichkeit objectiv      
  35 (aber nur der praktischen Vernunft zu Folge) nothwendig ist, zugleich      
  36 aber die Art, auf welche Weise wir es uns als möglich denken      
  37 wollen, in unserer Wahl steht, in welcher aber ein freies Interesse der      
           
     

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