Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 223

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
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§ 13.

     
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Das reine Geschmacksurtheil ist von Reiz und Rührung

     
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unabhängig.

     
           
  04 Alles Interesse verdirbt das Geschmacksurtheil und nimmt ihm seine      
  05 Unpartheilichkeit, vornehmlich wenn es nicht so wie das Interesse der Vernunft      
  06 die Zweckmäßigkeit vor dem Gefühle der Lust voranschickt, sondern      
  07 sie auf dieses gründet; welches letztere allemal im ästhetischen Urtheile über      
  08 etwas, sofern es vergnügt oder schmerzt, geschieht. Daher Urtheile, die so      
  09 afficirt sind, auf allgemeingültiges Wohlgefallen entweder gar keinen, oder      
  10 so viel weniger Anspruch machen können, als sich von der gedachten Art      
  11 Empfindungen unter den Bestimmungsgründen des Geschmacks befinden.      
  12 Der Geschmack ist jederzeit noch barbarisch, wo er die Beimischung der      
  13 Reize und Rührungen zum Wohlgefallen bedarf, ja wohl gar diese zum      
  14 Maßstabe seines Beifalls macht.      
           
  15 Indessen werden Reize doch öfter nicht allein zur Schönheit (die doch      
  16 eigentlich bloß die Form betreffen sollte) als Beitrag zum ästhetischen allgemeinen      
  17 Wohlgefallen gezählt, sondern sie werden wohl gar an sich selbst      
  18 für Schönheiten, mithin die Materie des Wohlgefallens für die Form ausgegeben:      
  19 ein Mißverstand, der sich so wie mancher andere, welcher doch      
  20 noch immer etwas Wahres zum Grunde hat, durch sorgfältige Bestimmung      
  21 dieser Begriffe heben läßt.      
           
  22 Ein Geschmacksurtheil, auf welches Reiz und Rührung keinen Einfluß      
  23 haben (ob sie sich gleich mit dem Wohlgefallen am Schönen verbinden      
  24 lassen), welches also bloß die Zweckmäßigkeit der Form zum Bestimmungsgrunde      
  25 hat, ist ein reines Geschmacksurtheil.      
           
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§ 14.

     
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Erläuterung durch Beispiele.

     
           
  28 Ästhetische Urtheile können eben sowohl als theoretische (logische) in      
  29 empirische und reine eingetheilt werden. Die erstern sind die, welche Annehmlichkeit      
  30 oder Unannehmlichkeit, die zweiten die, welche Schönheit von      
  31 einem Gegenstande, oder von der Vorstellungsart desselben aussagen; jene      
  32 sind Sinnenurtheile (materiale ästhetische Urtheile), diese (als formale)      
  33 allein eigentliche Geschmacksurtheile.      
           
           
     

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