Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 341

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Begriffe (nämlich vom übersinnlichen Substrat der Erscheinungen);      
  02 und alsdann wäre zwischen ihnen kein Widerstreit.      
           
  03 Mehr, als diesen Widerstreit in den Ansprüchen und Gegenansprüchen      
  04 des Geschmacks zu heben, können wir nicht leisten. Ein bestimmtes      
  05 objectives Princip des Geschmacks, wornach die Urtheile desselben geleitet,      
  06 geprüft und bewiesen werden könnten, zu geben, ist schlechterdings unmöglich;      
  07 denn es wäre alsdann kein Geschmacksurtheil. Das subjective Princip,      
  08 nämlich die unbestimmte Idee des Übersinnlichen in uns, kann nur      
  09 als der einzige Schlüssel der Enträthselung dieses uns selbst seinen Quellen      
  10 nach verborgenen Vermögens angezeigt, aber durch nichts weiter begreiflich      
  11 gemacht werden.      
           
  12 Der hier aufgestellten und ausgeglichenen Antinomie liegt der richtige      
  13 Begriff des Geschmacks, nämlich als einer bloß reflectirenden ästhetischen      
  14 Urtheilskraft, zum Grunde; und da wurden beide dem Scheine nach      
  15 widerstreitende Grundsätze mit einander vereinigt, indem beide wahr      
  16 sein können, welches auch genug ist. Würde dagegen zum Bestimmungsgrunde      
  17 des Geschmacks (wegen der Einzelnheit der Vorstellung, die dem      
  18 Geschmacksurtheil zum Grunde liegt), wie von einigen geschieht, die Annehmlichkeit,      
  19 oder, wie andere (wegen der Allgemeingültigkeit desselben)      
  20 wollen, das Princip der Vollkommenheit angenommen und die Definition      
  21 des Geschmacks darnach eingerichtet: so entspringt daraus eine      
  22 Antinomie, die schlechterdings nicht auszugleichen ist, als so, daß man      
  23 zeigt, daß beide einander (aber nicht bloß contradictorisch) entgegenstehende      
  24 Sätze falsch sind: welches dann beweiset, daß der Begriff, worauf      
  25 ein jeder gegründet ist, sich selbst widerspreche. Man sieht also, daß      
  26 die Hebung der Antinomie der ästhetischen Urtheilskraft einen ähnlichen      
  27 Gang nehme mit dem, welchen die Kritik in Auflösung der Antinomieen      
  28 der reinen theoretischen Vernunft befolgte; und daß eben so hier und auch      
  29 in der Kritik der praktischen Vernunft die Antinomieen wider Willen nöthigen,      
  30 über das Sinnliche hinaus zu sehen und im Übersinnlichen den      
  31 Vereinigungspunkt aller unserer Vermögen a priori zu suchen: weil kein      
  32 anderer Ausweg übrig bleibt, die Vernunft mit sich selbst einstimmig zu      
  33 machen.      
           
  34
Anmerkung 1.
     
           
  35 Da wir in der Transscendental=Philosophie so oft Veranlassung finden,      
  36 Ideen von Verstandesbegriffen zu unterscheiden, so kann es von      
           
     

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