Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 368

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Zweck (obgleich eben nicht als Endzweck) betrachtet werden, wozu seine      
  02 nächste Ursache das Mittel ist. Eben so, wenn einmal Rindvieh, Schafe,      
  03 Pferde u. s. w. in der Welt sein sollten, so mußte Gras auf Erden, aber es      
  04 mußten auch Salzkräuter in Sandwüsten wachsen, wenn Kameele gedeihen      
  05 sollten, oder auch diese und andere grasfressende Thierarten in Menge      
  06 anzutreffen sein, wenn es Wölfe, Tiger und Löwen geben sollte. Mithin      
  07 ist die objective Zweckmäßigkeit, die sich auf Zuträglichkeit gründet, nicht      
  08 eine objective Zweckmäßigkeit der Dinge an sich selbst, als ob der Sand      
  09 für sich als Wirkung aus seiner Ursache, dem Meere, nicht könnte Begriffen      
  10 werden, ohne dem letztern einen Zweck unterzulegen und ohne die Wirkung,      
  11 nämlich den Sand, als Kunstwerk zu betrachten. Sie ist eine bloß relative,      
  12 dem Dinge selbst, dem sie beigelegt wird, bloß zufällige Zweckmäßigkeit;      
  13 und obgleich unter den angeführten Beispielen die Grasarten      
  14 für sich als organisirte Producte der Natur, mithin als kunstreich zu beurtheilen      
  15 sind, so werden sie doch in Beziehung auf Thiere, die sich davon      
  16 nähren, als bloße rohe Materie angesehen.      
           
  17 Wenn aber vollends der Mensch durch Freiheit seiner Causalität die      
  18 Naturdinge seinen oft thörichten Absichten (die bunten Vogelfedern      
  19 zum Putzwerk seiner Bekleidung, farbige Erden oder Pflanzensäfte zur      
  20 Schminke), manchmal auch aus vernünftiger Absicht das Pferd zum      
  21 Reiten, den Stier und in Minorca sogar den Esel und das Schwein zum      
  22 Pflügen zuträglich findet: so kann man hier auch nicht einmal einen      
  23 relativen Naturzweck (auf diesen Gebrauch) annehmen. Denn seine      
  24 Vernunft weiß den Dingen eine Übereinstimmung mit seinen willkürlichen      
  25 Einfällen, wozu er selbst nicht einmal von der Natur prädestinirt      
  26 war, zu geben. Nur wenn man annimmt, Menschen haben auf Erden      
  27 leben sollen, so müssen doch wenigstens die Mittel, ohne die sie als Thiere      
  28 und selbst als vernünftige Thiere (in wie niedrigem Grade es auch sei)      
  29 nicht bestehen konnten, auch nicht fehlen; alsdann aber würden diejenigen      
  30 Naturdinge, die zu diesem Behuf unentbehrlich sind, auch als Naturzwecke      
  31 angesehen werden müssen.      
           
  32 Man sieht hieraus leicht ein, daß die äußere Zweckmäßigkeit (Zuträglichkeit      
  33 eines Dinges für andere) nur unter der Bedingung, daß die      
  34 Existenz desjenigen, dem es zunächst oder auf entfernte Weise zuträglich      
  35 ist, für sich selbst Zweck der Natur sei, für einen äußern Naturzweck angesehen      
  36 werden könne. Da jenes aber durch bloße Naturbetrachtung      
  37 nimmermehr auszumachen ist: so folgt, daß die relative Zweckmäßigkeit,      
           
     

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