Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 372

     
           
 

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  01 nährt, ansehen. Zugleich sind die Blätter zwar Producte des Baums,      
  02 erhalten aber diesen doch auch gegenseitig; denn die wiederholte Entblätterung      
  03 würde ihn tödten, und sein Wachsthum hängt von ihrer      
  04 Wirkung auf den Stamm ab. Der Selbsthülfe der Natur in diesen Geschöpfen      
  05 bei ihrer Verletzung, wo der Mangel eines theils, der zur Erhaltung      
  06 der benachbarten gehörte, von den übrigen ergänzt wird; der      
  07 Mißgeburten oder Mißgestalten im Wachsthum, da gewisse Theile wegen      
  08 vorkommender Mängel oder Hindernisse sich auf ganz neue Art formen,      
  09 um das, was da ist, zu erhalten und ein anomalisches Geschöpf hervorzubringen:      
  10 will ich hier nur im vorbeigehen erwähnen, ungeachtet sie      
  11 unter die wundersamsten Eigenschaften organisirter Geschöpfe gehören.      
           
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§ 65.

     
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Dinge als Naturzwecke sind organisirte Wesen.

     
           
  14 Nach dem im vorigen § angeführten Charakter muß ein Ding, welches      
  15 als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweck möglich erkannt werden      
  16 soll, sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung verhalten,      
  17 welches ein etwas uneigentlicher und unbestimmter Ausdruck ist, der einer      
  18 Ableitung von einem bestimmten Begriffe bedarf.      
           
  19 Die Causalverbindung, sofern sie bloß durch den Verstand gedacht      
  20 wird, ist eine Verknüpfung, die eine Reihe (von Ursachen und Wirkungen)      
  21 ausmacht, welche immer abwärts geht; und die Dinge selbst, welche als      
  22 Wirkungen andere als Ursache voraussetzen, können von diesen nicht gegenseitig      
  23 zugleich Ursache sein. Diese Causalverbindung nennt man die der      
  24 wirkenden Ursachen ( nexus effectivus ). Dagegen aber kann doch auch      
  25 eine Causalverbindung nach einem Vernunftbegriffe (von Zwecken) gedacht      
  26 werden, welche, wenn man sie als Reihe betrachtete, sowohl abwärts als      
  27 aufwärts Abhängigkeit bei sich führen würde, in der das Ding, welches      
  28 einmal als Wirkung bezeichnet ist, dennoch aufwärts den Namen einer      
  29 Ursache desjenigen Dinges verdient, wovon es die Wirkung ist. Im      
  30 Praktischen (nämlich der Kunst) findet man leicht dergleichen Verknüpfung,      
  31 wie z. B. das Haus zwar die Ursache der Gelder ist, die für Miethe eingenommen      
  32 werden, aber doch auch umgekehrt die Vorstellung von diesem      
  33 möglichen Einkommen die Ursache der Erbauung des Hauses war. Eine      
  34 solche Causalverknüpfung wird die der Endursachen ( nexus finalis ) genannt.      
  35 Man könnte die erstere vielleicht schicklicher die Verknüpfung der      
           
     

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