Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 376

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 die also zuerst dem Begriffe eines Zwecks, der nicht ein praktischer,      
  02 sondern Zweck der Natur ist, objective Realität und dadurch für die      
  03 Naturwissenschaft den Grund zu einer Teleologie, d. i. einer Beurtheilungsart      
  04 ihrer Objecte nach einem besondern Princip, verschaffen, dergleichen      
  05 man in sie einzuführen (weil man die Möglichkeit einer solchen Art      
  06 Causalität gar nicht a priori einsehen kann) sonst schlechterdings nicht berechtigt      
  07 sein würde.      
           
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§ 66.

     
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Vom Princip der Beurtheilung der innern Zweckmäßigkeit

     
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in organisirten Wesen.

     
           
  11 Dieses Princip, zugleich die Definition derselben, heißt: ein      
  12 organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles      
  13 Zweck und wechselseitig auch Mittel ist. Nichts in ihm ist umsonst,      
  14 zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben.      
           
  15 Dieses Princip ist zwar seiner Veranlassung nach von Erfahrung      
  16 abzuleiten, nämlich derjenigen, welche methodisch angestellt wird und Beobachtung      
  17 heißt; der Allgemeinheit und Nothwendigkeit wegen aber, die      
  18 es von einer solchen Zweckmäßigkeit aussagt, kann es nicht bloß auf Erfahrungsgründen      
  19 beruhen, sondern muß irgend ein Princip a priori, wenn      
  20 es gleich bloß regulativ wäre, und jene Zwecke allein in der Idee des Beurtheilenden      
  21 und nirgend in einer wirkenden Ursache lägen, zum Grunde      
  22 haben. Man kann daher obgenanntes Princip eine Maxime der Beurtheilung      
  23 der innern Zweckmäßigkeit organisirter Wesen nennen.      
           
  24 Daß die Zergliederer der Gewächse und Thiere, um ihre Structur      
  25 zu erforschen und die Gründe einsehen zu können, warum und zu welchem      
  26 Ende solche Theile, warum eine solche Lage und Verbindung der Theile      
  27 und gerade diese innere Form ihnen gegeben worden, jene Maxime: daß      
  28 nichts in einem solchen Geschöpf umsonst sei, als unumgänglich nothwendig      
  29 annehmen und sie eben so, als den Grundsatz der allgemeinen      
  30 Naturlehre: daß nichts von ungefähr geschehe, geltend machen, ist      
  31 bekannt. In der That können sie sich auch von diesem teleologischen      
  32 Grundsatze eben so wenig lossagen, als von dem allgemeinen physischen,      
  33 weil, so wie bei Verlassung des letzteren gar keine Erfahrung überhaupt,      
  34 so bei der des ersteren Grundsatzes kein Leitfaden für die Beobachtung      
  35 einer Art von Naturdingen, die wir einmal teleologisch unter dem Begriffe      
  36 der Naturzwecke gedacht haben, übrig bleiben würde.      
           
           
     

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