Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 411

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Von der andern Seite ist es eine eben sowohl nothwendige Maxime      
  02 der Vernunft, das Princip der Zwecke an den Producten der Natur nicht      
  03 vorbei zu gehen: weil es, wenn es gleich die Entstehungsart derselben uns      
  04 eben nicht begreiflicher macht, doch ein heuristisches Princip ist, den besondern      
  05 Gesetzen der Natur nachuuforschen; gesetzt auch, daß man davon      
  06 keinen Gebrauch machen wollte, um die Natur selbst darnach zu erklären,      
  07 indem man sie so lange, ob sie gleich absichtliche Zweckeinheit augenscheinlich      
  08 darlegen, noch immer nur Naturzwecke nennt, d. i. ohne über die Natur      
  09 hinaus den Grund der Möglichkeit derselben zu suchen. Weil es aber      
  10 doch am Ende zur Frage wegen der letzteren kommen muß: so ist es eben      
  11 so nothwendig für sie, eine besondere Art der Causalität, die sich nicht in      
  12 der Natur vorfindet, zu denken, als die Mechanik der Naturursachen die      
  13 ihrige hat, indem zu der Receptivität mehrerer und anderer Formen, als      
  14 deren die Materie nach der letzteren fähig ist, noch eine Spontaneität einer      
  15 Ursache (die also nicht Materie sein kann) hinzukommen muß, ohne welche      
  16 von jenen Formen kein Grund angegeben werden kann. Zwar muß die      
  17 Vernunft, ehe sie diesen Schritt thut, behutsam verfahren und nicht jede      
  18 Technik der Natur, d. i. ein productives Vermögen derselben, welches      
  19 Zweckmäßigkeit der Gestalt für unsere bloße Apprehension an sich zeigt (wie      
  20 bei regulären Körpern), für teleologisch zu erklären suchen, sondern immer      
  21 so lange für bloß mechanisch=möglich ansehen; allein darüber das teleologische      
  22 Princip gar ausschließen und, wo die Zweckmäßigkeit für die Vernunftuntersuchung      
  23 der Möglichkeit der Naturformen durch ihre Ursachen      
  24 sich ganz unläugbar als Beziehung auf eine andere Art der Causalität      
  25 zeigt, doch immer den bloßen Mechanism befolgen wollen, muß die Vernunft      
  26 eben so phantastisch und unter Hirngespinsten von Naturvermögen,      
  27 die sich gar nicht denken lassen, herumschweifend machen, als eine bloß      
  28 teleologische Erklärungsart, die gar keine Rücksicht auf den Naturmechanism      
  29 nimmt, sie schwärmerisch machte.      
           
  30 An einem und eben demselben Dinge der Natur lassen sich nicht beide      
  31 Principien, als Grundsätze der Erklärung (Deduction) eines von dem andern,      
  32 verknüpfen, d. i. als dogmatische und constitutive Principien der      
  33 Natureinsicht für die bestimmende Urtheilskraft vereinigen. Wenn ich      
  34 z. B. von einer Made annehme, sie sei als Product des bloßen Mechanismus      
  35 der Materie (der neuen Bildung, die sie für sich selbst bewerkstelligt,      
  36 wenn ihre Elemente durch Fäulniß in Freiheit gesetzt werden) anzusehen:      
  37 so kann ich nun nicht von eben derselben Materie, als einer Causalität      
           
     

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