Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 446

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Rechenschaft abzulegen hätte. Mit einem Worte: er bedarf einer moralischen      
  02 Intelligenz, um für den Zweck, wozu er existirt, ein Wesen zu haben,      
  03 welches diesem gemäß von ihm und der Welt die Ursache sei. Triebfedern      
  04 hinter diesen Gefühlen herauszukünsteln, ist vergeblich; denn sie hängen      
  05 unmittelbar mit der reinsten moralischen Gesinnung zusammen, weil      
  06 Dankbarkeit, Gehorsam und Demüthigung (Unterwerfung unter      
  07 verdiente Züchtigung) besondere Gemüthsstimmungen zur Pflicht sind, und      
  08 das zu Erweiterung seiner moralischen Gesinnung geneigte Gemüth hier      
  09 sich nur einen Gegenstand freiwillig denkt, der nicht in der Welt ist, um      
  10 wo möglich auch gegen einen solchen seine Pflicht zu beweisen. Es ist also      
  11 wenigstens möglich und auch der Grund dazu in moralischer Denkungsart      
  12 gelegen, ein reines moralisches Bedürfniß der Existenz eines Wesens sich      
  13 vorzustellen, unter welchem entweder unsere Sittlichkeit mehr Stärke oder      
  14 auch (wenigstens unserer Vorstellung nach) mehr Umfang, nämlich einen      
  15 neuen Gegenstand für ihre Ausübung, gewinnt; d. i. ein moralisch=gesetzgebendes      
  16 Wesen außer der Welt ohne alle Rücksicht auf theoretischen Beweis,      
  17 noch weniger auf selbstsüchtiges Interesse aus reinem moralischen,      
  18 von allem fremden Einflusse freien (dabei freilich nur subjectiven) Grunde      
  19 anzunehmen, auf bloße Anpreisung einer für sich allein gesetzgebenden      
  20 reinen praktischen Vernunft. Und ob gleich eine solche Stimmung des      
  21 Gemüths selten vorkäme, oder auch nicht lange haftete, sondern flüchtig      
  22 und ohne dauernde Wirkung, oder auch ohne einiges Nachdenken über den      
  23 in einem solchen Schattenbilde vorgestellten Gegenstand und ohne Bemühung      
  24 ihn unter deutliche Begriffe zu bringen vorüberginge: so ist doch      
  25 der Grund dazu, die moralische Anlage in uns, als subjectives Princip,      
  26 sich in der Weltbetrachtung mit ihrer Zweckmäßigkeit durch Naturursachen      
  27 nicht zu begnügen, sondern ihr eine oberste nach moralischen Principien      
  28 die Natur beherrschende Ursache unterzulegen, unverkennbar. - Wozu      
  29 noch kommt, daß wir, nach einem allgemeinen höchsten Zwecke zu streben,      
  30 uns durch das moralische Gesetz gedrungen, uns aber doch und die gesammte      
  31 Natur ihn zu erreichen unvermögend fühlen; daß wir, nur so fern      
  32 wir darnach streben, dem Endzwecke einer verständigen Weltursache (wenn      
  33 es eine solche gäbe) gemäß zu sein urtheilen dürfen; und so ist ein reiner      
  34 moralischer Grund der praktischen Vernunft vorhanden, diese Ursache (da      
  35 es ohne Widerspruch geschehen kann) anzunehmen, wo nicht mehr, doch      
  36 damit wir jene Bestrebung in ihren Wirkungen nicht für ganz eitel anzusehen      
  37 und dadurch sie ermatten zu lassen Gefahr laufen.      
           
     

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