Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 448

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 äußere Möglichkeit seiner Ausführung (wozu keine physische Teleologie uns      
  02 Anleitung geben kann) betrifft, geht nun die nothwendige Frage aus: ob      
  03 sie unsere vernünftige Beurtheilung nöthige, über die Welt hinaus zu      
  04 gehen und zu jener Beziehung der Natur auf das Sittliche in uns ein      
  05 verständiges oberstes Princip zu suchen, um die Natur auch in Beziehung      
  06 auf die moralische innere Gesetzgebung und deren mögliche Ausführung      
  07 uns als zweckmäßig vorzustellen. Folglich giebt es allerdings eine moralische      
  08 Teleologie; und diese hängt mit der Nomothetik der Freiheit      
  09 einerseits und der der Natur andererseits eben so nothwendig zusammen      
  10 als bürgerliche Gesetzgebung mit der Frage, wo man die executive Gewalt      
  11 suchen soll, und überhaupt in allem, worin die Vernunft ein Princip der      
  12 Wirklichkeit einer gewissen gesetzmäßigen, nur nach Ideen möglichen Ordnung      
  13 der Dinge angeben soll, Zusammenhang ist. - Wir wollen den Fortschritt      
  14 der Vernunft von jener moralischen Teleologie und ihrer Beziehung      
  15 auf die physische zur Theologie allererst vortragen und nachher über die      
  16 Möglichkeit und Bündigkeit dieser Schlußart Betrachtungen anstellen.      
           
  17 Wenn man das Dasein gewisser Dinge (oder auch nur gewisser      
  18 Formen der Dinge) als zufällig, mithin nur durch etwas anderes als      
  19 Ursache möglich annimmt: so kann man zu dieser Causalität den obersten      
  20 und also zu dem Bedingten den unbedingten Grund entweder in der      
  21 physischen, oder teleologischen Ordnung suchen (nach dem nexu effectivo ,      
  22 oder finali ). D. i. man kann fragen: welches ist die oberste hervorbringende      
  23 Ursache? Oder was ist der oberste (schlechthin unbedingte) Zweck      
  24 derselben, d. i. der Endzweck ihrer Hervorbringung dieser oder aller ihrer      
  25 Producte überhaupt? Wobei dann freilich vorausgesetzt wird, daß diese      
  26 Ursache einer Vorstellung der Zwecke fähig, mithin ein verständiges Wesen      
  27 sei, oder wenigstens von uns als nach den Gesetzen eines solchen Wesens      
  28 handelnd gedacht werden müsse.      
           
  29 Nun ist, wenn man der letztern Ordnung nachgeht, es ein Grundsatz,      
  30 dem selbst die gemeinste Menschenvernunft unmittelbar Beifall zu      
  31 geben genöthigt ist: daß, wenn überall ein Endzweck, den die Vernunft      
  32 a priori angeben muß, statt finden soll, dieser kein anderer als der      
  33 Mensch (ein jedes vernünftige Weltwesen) unter moralischen Gesetzen      
  34 sein könne.*) Denn (so urtheilt ein jeder): Bestände die Welt aus      
           
    *) Ich sage mit Fleiß: unter moralischen Gesetzen. Nicht der Mensch nach moralischen Gesetzen, d. i. ein solcher, der sich ihnen gemäß verhält, ist der Endzweck [Seitenumbruch] der Schöpfung. Denn mit dem letztern Ausdrucke würden wir mehr sagen, als wir wissen: nämlich daß es in der Gewalt eines Welturhebers stehe, zu machen, daß der Mensch den moralischen Gesetzen jederzeit sich angemessen verhalte; welches einen Begriff von Freiheit und der Natur (von welcher letztern man allein einen äußern Urheber denken kann) voraussetzt, der eine Einsicht in das übersinnliche Substrat der Natur und dessen Einerleiheit mit dem, was die Causalität durch Freiheit in der Welt möglich macht, enthalten müßte, die weit über unsere Vernunfteinsicht hinausgeht. nur vom Menschen unter moralischen Gesetzen können wir, ohne die Schranken unserer Einsicht zu überschreiten, sagen: sein Dasein mache der Welt Endzweck aus. Dieses stimmt auch vollkommen mit dem Urtheile der moralisch über den Weltlauf reflectirenden Menschenvernunft. Wir glauben die Spuren einer weisen Zweckbeziehung auch am Bösen wahrzunehmen, wenn wir nur sehen, daß der frevelhafte Bösewicht nicht eher stirbt, als bis er die wohlverschuldete Strafe seiner Unthaten erlitten hat. Nach unseren Begriffen von freier Causalität beruht das Wohl= oder Übelverhalten auf uns; die höchste Weisheit aber der Weltregierung setzen wir darin, daß zu dem ersteren die Veranlassung, für beides aber der Erfolg nach moralischen Gesetzen verhängt sei. In dem letzteren besteht eigentlich die Ehre Gottes, welche daher von Theologen nicht unschicklich der letzte Zweck der Schöpfung genannt wird. - Noch ist anzumerken, daß wir unter dem Wort Schöpfung, wenn wir uns dessen bedienen, nichts anders, als was hier gesagt worden ist, nämlich die Ursache vom Dasein einer Welt, oder der Dinge in ihr (der Substanzen), verstehen; wie das auch der eigentliche Begriff dieses Worts mit sich bringt ( actuatio substantiae est creatio ): welches mithin nicht schon die Voraussetzung einer freiwirkenden, folglich verständigen Ursache (deren Dasein wir allererst beweisen wollen) bei sich führt.      
           
     

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