Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 459

     
           
 

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  01 weitem nicht gleichen Schritt halten kann. - Auch wurde aller Wahrscheinlichkeit      
  02 nach durch dieses moralische Interesse allererst die Aufmerksamkeit      
  03 auf die Schönheit und Zwecke der Natur rege gemacht, die alsdann      
  04 jene Idee zu bestärken vortrefflich diente, sie aber doch nicht begründen,      
  05 noch weniger jenes entbehren konnte, weil selbst die Nachforschung      
  06 der Zwecke der Natur nur in Beziehung auf den Endzweck dasjenige unmittelbare      
  07 Interesse bekommt, welches sich in der Bewunderung derselben      
  08 ohne Rücksicht auf irgend daraus zu ziehenden Vortheil in so großem      
  09 Maße zeigt.      
           
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§ 89.

     
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Von dem Nutzen des moralischen Arguments.

     
           
  12 Die Einschränkung der Vernunft in Ansehung aller unserer Ideen vom      
  13 Übersinnlichen auf die Bedingungen ihres praktischen Gebrauchs hat, was      
  14 die Idee von Gott betrifft, den unverkennbaren Nutzen: daß sie verhütet,      
  15 daß Theologie sich nicht in Theosophie (in vernunftverwirrende überschwengliche      
  16 Begriffe) versteige, oder zur Dämonologie (einer anthropomorphistischen      
  17 Vorstellungsart des höchsten Wesens) herabsinke; daß Religion      
  18 nicht in Theurgie (ein schwärmerischer Wahn, von anderen übersinnlichen      
  19 Wesen Gefühl und auf sie wiederum Einfluß haben zu können),      
  20 oder in Idololatrie (ein abergläubischer Wahn, dem höchsten Wesen      
  21 sich durch andere Mittel, als durch eine moralische Gesinnung wohlgefällig      
  22 machen zu können) gerathe*).      
           
  23 Denn wenn man der Eitelkeit oder Vermessenheit des Vernünftelns      
  24 in Ansehung dessen, was über die Sinnenwelt hinausliegt, auch nur das      
  25 mindeste theoretisch (und erkenntniß=erweiternd) zu bestimmen einräumt;      
  26 wenn man mit Einsichten vom Dasein und von der Beschaffenheit der      
  27 göttlichen Natur, von seinem Verstande und Willen, den Gesetzen beider      
  28 und den daraus auf die Welt abfließenden Eigenschaften groß zu thun      
  29 verstattet: so möchte ich wohl wissen, wo und an welcher Stelle man die      
           
    *)Abgötterei in praktischem Verstande ist noch immer diejenige Religion, welche sich das höchste Wesen mit Eigenschaften denkt, nach denen noch etwas anders, als Moralität die für sich taugliche Bedingung sein könne, seinem Willen in dem, was der Mensch zu thun vermag, gemäß zu sein. Denn so rein und frei von sinnlichen Bildern man auch in theoretischer Rücksicht jenen Begriff gefaßt haben mag, so ist er im Praktischen alsdann dennoch als ein Idol, d. i. der Beschaffenheit seines Willens nach anthropomorphistisch, vorgestellt.      
           
     

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