Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 474

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Begriff der Freiheit des Menschen unter moralischen Gesetzen zusammt      
  02 dem Endzwecke, den jene durch diese vorschreibt, wovon die erstern dem      
  03 Urheber der Natur, der zweite dem Menschen diejenigen Eigenschaften beizulegen      
  04 tauglich sind, welche zu der Möglichkeit beider die nothwendige      
  05 Bedingung enthalten: so daß eben aus dieser Idee auf die Existenz und      
  06 die Beschaffenheit jener sonst gänzlich für uns verborgenen Wesen geschlossen      
  07 werden kann.      
           
  08 Also liegt der Grund der auf dem bloß theoretischen Wege verfehlten      
  09 Absicht, Gott und Unsterblichkeit zu beweisen, darin: daß von dem Übersinnlichen      
  10 auf diesem Wege (der Naturbegriffe) gar kein Erkenntniß möglich      
  11 ist. Daß es dagegen auf dem moralischen (des Freiheitsbegriffs) gelingt,      
  12 hat diesen Grund: daß hier das Übersinnliche, welches dabei zum      
  13 Grunde liegt (die Freiheit), durch ein bestimmtes Gesetz der Causalität,      
  14 welches aus ihm entspringt, nicht allein Stoff zum Erkenntniß des andern      
  15 Übersinnlichen (des moralischen Endzwecks und der Bedingungen seiner      
  16 Ausführbarkeit) verschafft, sondern auch als Thatsache seine Realität in      
  17 Handlungen darthut, aber eben darum auch keinen andern, als nur in      
  18 praktischer Absicht (welche auch die einzige ist, deren die Religion bedarf)      
  19 gültigen Beweisgrund abgeben kann.      
           
  20 Es bleibt hiebei immer sehr merkwürdig: daß unter den drei reinen      
  21 Vernunftideen, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, die der Freiheit      
  22 der einzige Begriff des Übersinnlichen ist, welcher seine objective Realität      
  23 (vermittelst der Causalität, die in ihm gedacht wird) an der Natur durch      
  24 ihre in derselben mögliche Wirkung beweiset und eben dadurch die Verknüpfung      
  25 der beiden andern mit der Natur, aller drei aber unter einander      
  26 zu einer Religion möglich macht; und daß wir also in uns ein Princip      
  27 haben, welches die Idee des Übersinnlichen in uns, dadurch aber auch      
  28 die desselben außer uns zu einer, obgleich nur in praktischer Absicht möglichen,      
  29 Erkenntniß zu bestimmen vermögend ist, woran die bloß speculative      
  30 Philosophie (die auch von der Freiheit einen bloß negativen Begriff geben      
  31 konnte) verzweifeln mußte: mithin der Freiheitsbegriff (als Grundbegriff      
  32 aller unbedingt=praktischen Gesetze) die Vernunft über diejenigen Gränzen      
  33 erweitern kann, innerhalb deren jeder Naturbegriff (theoretischer) ohne      
  34 Hoffnung eingeschränkt bleiben müßte.      
           
           
     

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