Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 068

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sein, als sich schon im Besitz dieses Reichs zu wissen, da denn der so gesinnte      
  02 Mensch schon von selbst vertrauen würde, daß ihm "das Übrige alles      
  03 (was physische Glückseligkeit betrifft) zufallen werde".      
           
  04 Nun könnte man zwar den hierüber besorgten Menschen mit seinem      
  05 Wunsche dahin verweisen: "Sein (Gottes) Geist giebt Zeugniß unserm      
  06 Geist" u. s. w., d. i. wer eine so lautere Gesinnung, als gefordert wird, besitzt,      
  07 wird von selbst schon fühlen, daß er nie so tief fallen könne, das Böse      
  08 wiederum lieb zu gewinnen; allein es ist mit solchen vermeinten Gefühlen      
  09 übersinnlichen Ursprungs nur mißlich bestellt; man täuscht sich nirgends      
  10 leichter, als in dem, was die gute Meinung von sich selbst begünstigt. Auch      
  11 scheint es nicht einmal rathsam zu sein, zu einem solchen Vertrauen aufgemuntert      
  12 zu werden, sondern vielmehr zuträglicher (für die Moralität),      
  13 "seine Seligkeit mit Furcht und Zittern zu schaffen" (ein hartes Wort,      
  14 welches, mißverstanden, zur finstersten Schwärmerei antreiben kann);      
  15 allein ohne alles Vertrauen zu seiner einmal angenommenen Gesinnung      
  16 würde kaum eine Beharrlichkeit, in derselben fortzufahren, möglich sein.      
  17 Dieses findet sich aber, ohne sich der süßen oder angstvollen Schwärmerei      
  18 zu überliefern, aus der Vergleichung seines bisher geführten Lebenswandels      
  19 mit seinem gefaßten Vorsatze. - Denn der Mensch, welcher von der      
  20 Epoche der angenommenen Grundsätze des Guten an ein genugsam langes      
  21 Leben hindurch die Wirkung derselben auf die That, d. i. auf seinen zum      
  22 immer Besseren fortschreitenden Lebenswandel, wahrgenommen hat und      
  23 daraus auf eine gründliche Besserung in seiner Gesinnung nur vermuthungsweise      
  24 zu schließen Anlaß findet, kann doch auch vernünftigerweise      
  25 hoffen, daß, da dergleichen Fortschritte, wenn ihr Princip nur gut ist, die      
  26 Kraft zu den folgenden immer noch vergrößern, er in diesem Erdenleben      
  27 diese Bahn nicht mehr verlassen, sondern immer noch muthiger darauf      
  28 fortrücken werde, ja, wenn nach diesem ihm noch ein anderes Leben bevorsteht,      
  29 er unter andern Umständen allem Ansehen nach doch nach eben demselben      
  30 Princip fernerhin darauf fortfahren und sich dem, obgleich unerreichbaren      
  31 Ziele der Vollkommenheit immer noch nähern werde, weil er      
  32 nach dem, was er bisher an sich wahrgenommen hat, seine Gesinnung für      
  33 von Grunde aus gebessert halten darf. Dagegen der, welcher selbst bei oft      
  34 versuchtem Vorsatze zum Guten dennoch niemals fand, daß er dabei Stand      
  35 hielt, der immer ins Böse zurückfiel, oder wohl gar im Fortgange seines      
  36 Lebens an sich wahrnehmen mußte, aus dem Bösen ins Ärgere gleichsam      
  37 als auf einem Abhange immer tiefer gefallen zu sein, vernünftigerweise      
           
     

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