Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 098

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einem System wohlgesinnter Menschen erfordert, in welchem und durch      
  02 dessen Einheit es allein zu Stande kommen kann, die Idee aber von einem      
  03 solchen Ganzen, als einer allgemeinen Republik nach Tugendgesetzen, eine      
  04 von allen moralischen Gesetzen (die das betreffen, wovon wir wissen, daß      
  05 es in unserer Gewalt stehe) ganz unterschiedene Idee ist, nämlich auf ein      
  06 Ganzes hinzuwirken, wovon wir nicht wissen können, ob es als ein solches      
  07 auch in unserer Gewalt stehe: so ist die Pflicht der Art und dem Princip      
  08 nach von allen andern unterschieden. - Man wird schon zum voraus vermuthen,      
  09 daß diese Pflicht der Voraussetzung einer andern Idee, nämlich      
  10 der eines höhern moralischen Wesens, bedürfen werde, durch dessen allgemeine      
  11 Veranstaltung die für sich unzulänglichen Kräfte der Einzelnen zu      
  12 einer gemeinsamen Wirkung vereinigt werden. Allein wir müssen allererst      
  13 dem Leitfaden jenes sittlichen Bedürfnisses überhaupt nachgehen und sehen,      
  14 worauf uns dieses führen werde.      
           
  15

III

     
  16

Der Begriff eines ethischen gemeinen Wesens ist der Begriff

     
  17

von einem Volke Gottes unter ethischen Gesetzen.

     
           
  18 Wenn ein ethisches gemeines Wesen zu Stande kommen soll, so müssen      
  19 alle Einzelne einer öffentlichen Gesetzgebung unterworfen werden, und alle      
  20 Gesetze, welche jene verbinden, müssen als Gebote eines gemeinschaftlichen      
  21 Gesetzgebers angesehen werden können. Sollte nun das zu gründende gemeine      
  22 Wesen ein juridisches sein: so würde die sich zu einem Ganzen      
  23 vereinigende Menge selbst der Gesetzgeber (der Constitutionsgesetze) sein      
  24 müssen, weil die Gesetzgebung von dem Princip ausgeht: die Freiheit      
  25 eines jeden auf die Bedingungen einzuschränken, unter denen      
  26 sie mit jedes andern Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze      
  27 zusammen bestehen kann*), und wo also der allgemeine Wille einen      
  28 gesetzlichen äußeren Zwang errichtet. Soll das gemeine Wesen aber ein      
  29 ethisches sein, so kann das Volk als ein solches nicht selbst für gesetzgebend      
  30 angesehen werden. Denn in einem solchen gemeinen Wesen sind      
  31 alle Gesetze ganz eigentlich darauf gestellt, die Moralität der Handlungen      
  32 (welche etwas Innerliches ist, mithin nicht unter öffentlichen menschlichen      
  33 Gesetzen stehen kann) zu befördern, da im Gegentheil die letzteren,      
           
    *) Dieses ist das Princip alles äußern Rechts.      
           
     

[ Seite 097 ] [ Seite 099 ] [ Inhaltsverzeichnis ]